Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
der Phosphorisator nicht funktioniert hat. Nichts von dem, was Henry erfindet, funktioniert ordnungsgemäß. Wenn du dir nur endlich eingestehen wolltest, dass dein Gatte ein nutzloser Narr ist, wäre schon viel gewonnen.«
»Will!« Aus Jems Tonfall sprach kalte Wut.
»Nein, James, lass nur«, sagte Charlotte mit brechender Stimme. Dann ertönte ein dumpfes Dröhnen, als hätte sie sich schwer in einen Sessel fallen lassen. »Will«, brachte sie mühsam hervor, »Henry ist ein guter, freundlicher Mann und er liebt dich.«
»Werd bloß nicht sentimental, Charlotte«, schnaubte Will.
»Henry kennt dich seit deinem zwölften Lebensjahr und er liebt dich wie einen jüngeren Bruder. Das Gleiche gilt für mich: Ich habe nie etwas anderes getan, als dich zu lieben, Will ...«
»Ja«, erwiderte Will, »und ich wünschte, du würdest es nicht tun.«
Charlotte stieß einen kleinen, unterdrückten Laut aus, wie ein gequälter Welpe. »Ich weiß, dass du das nicht ernst meinst«, brachte sie schmerzerfüllt hervor.
»Ich meine jedes Wort, das ich sage«, entgegnete Will. »Insbesondere dann, wenn ich dir versichere, dass es besser wäre, Nathaniel Grays Gehirn lieber jetzt als später zu durchforsten. Wenn du zu sentimental dafür bist, dann ...«
Charlotte setzte gerade zu einem Protest an, als Tessa endgültig genug hatte: Wütend stieß sie die Tür auf und marschierte in den Salon. Der Raum wurde nur vom warmen Schein des knisternden Feuers im offenen Kamin erhellt - durch die glänzenden Fensterscheiben fiel lediglich das schwache Restlicht der Abenddämmerung herein. Charlotte saß hinter dem großen Schreibtisch, mit Jem in einem Sessel an ihrer Seite. Will lehnte am Kaminsims; sein Gesicht war vor Verärgerung rot angelaufen, seine Augen blitzten wütend und sein Hemdkragen hing schief. Einen Moment lang trafen sich Tessas und sein Blick, aus dem größte Überraschung sprach. Doch Tessas Hoffnung, er könnte den Vorfall auf dem Speicher auf wundersame Weise vergessen haben, wurde mit einem Schlag zunichtegemacht: Als er sie sah, vertiefte sich die Rötung seines Gesichts, seine unergründlichen blauen Augen verfinsterten sich und er wandte den Blick ab, als könnte er ihr nicht in die Augen sehen.
»Dann darf ich wohl annehmen, dass du uns belauscht hast?«, fragte er. »Und nun bist du hier, um mir ordentlich die Meinung zu sagen, weil ich deinen teuren Bruder noch einmal untersuchen lassen will, stimmt's?«
»Wenigstens habe ich noch eine Meinung, die ich dir sagen kann - was für Nathaniel nicht mehr lange gilt, wenn es nach dir ginge«, konterte Tessa und wandte sich an Charlotte. »Ich werde nicht zulassen, dass Bruder Enoch in Nates Verstand herumwühlt. Er ist schon krank genug; eine weitere Untersuchung würde ihn wahrscheinlich töten.«
Charlotte nickte. Sie wirkte erschöpft; ihre Gesichtshaut schimmerte fast grau, ihre Lider waren schwer vor Müdigkeit und Tessa fragte sich, ob sie überhaupt eine Minute geschlafen hatte. »Sei versichert: Wir werden eine erneute Befragung erst dann in Erwägung ziehen, wenn dein Bruder wieder vollständig zu Kräften gekommen ist«, beteuerte sie.
»Und was passiert, wenn er wochenlang krank ist? Oder gar Monate?«, hakte Will nach. »Möglicherweise haben wir nicht so viel Zeit.«
»Wieso nicht? Was ist so furchtbar dringend, dass du dafür das Leben meines Bruders aufs Spiel setzen musst?«, fauchte Tessa.
Wills Augen erinnerten an schmale blaue Glasscherben. »Das Einzige, was dich interessiert hat, war die Suche nach deinem Bruder. Und jetzt hast du ihn gefunden. Schön für dich. Aber das ist nie unser Ziel gewesen. Dessen bist du dir doch hoffentlich bewusst, oder? In der Regel machen wir uns wegen eines pflichtvergessenen Irdischen nicht solche Umstände.«
»Was Will zu sagen versucht - obwohl es ihm dafür an nötigem Taktgefühl fehlt ...«, mischte Jem sich hastig ein, »ist Folgendes ...« Er verstummte einen Moment und seufzte. »De Quincey hat gesagt, dein Bruder sei jemand, dem er vertraut habe. Und nun ist de Quincey verschwunden und wir haben keine Ahnung, wo er sich versteckt halten könnte. Aus den Unterlagen, die wir in seinem Büro gefunden haben, geht hervor, dass er in naher Zukunft mit einem Krieg zwischen Schattenweltlern und Schattenjägern rechnete - ein Krieg, in dem seine Klockwerk-Kreaturen zweifellos eine überaus wichtige Rolle spielen. Nun verstehst du sicher, warum wir unbedingt wissen wollen, wo er steckt und was dein
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