Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
irgendwelchen Safaris in Afrika und Indien, wo er Tiger und andere Viecher abgeknallt hat. Und der hat mir mal gesagt, es gäb eine sichere Methode, um zu erkennen, ob ein Käfer oder 'ne Schlange giftig wär: nämlich an ihren hübschen, leuchtenden Zeichnungen. Je schöner der Panzer oder die Haut, desto gefährlicher ihr Gift. Und so isses auch mit Will. Sein hübsches Gesicht und der ganze Rest vertuschen doch nur, wie verkorkst und verdorben er von innen is'.«
»Sophie, ich bin mir nicht sicher ...«
»Tief in ihm drin steckt irgendwas Dunkles«, fuhr Sophie unbeirrt fort. »Irgendwas Schwarzes und Dunkles, das er nicht rauslässt. Er hat irgendein Geheimnis ... eins von der Sorte, das einen von innen auffrisst.« Vorsichtig legte sie die silberbeschlagene Haarbürste auf die Frisierkommode und Tessa stellte zu ihrer Überraschung fest, dass Sophies Hand dabei zitterte. »Glauben Sie's mir.«
Nachdem Sophie gegangen war, nahm Tessa den Klockwerk-Engel von ihrem Nachttisch und hängte ihn sich wieder um. Als er an ihrer Brust ruhte, verspürte sie sofort ein Gefühl der Sicherheit. Sie hatte ihn während ihrer Maskerade als Camille vermisst und seine Nähe spendete ihr Trost. Und obwohl sie wusste, dass dieser Gedanke töricht war, hoffte sie, dass Nate die Gegenwart des Engels ebenfalls spüren würde, wenn sie ihn nun aufsuchte - und dass er daraus Kraft und Ruhe gewann.
Behutsam schloss sie die Hand um den Anhänger, zog die Tür hinter sich zu, lief durch den Flur und klopfte leise an Nates Zimmer. Als sie keine Antwort erhielt, drehte sie den Knauf und öffnete die Tür.
Die Vorhänge waren zurückgezogen und das schwache Licht der Abenddämmerung fiel in den Raum. Tessa sah, dass ihr Bruder gegen einen Berg von Kissen lehnte und schlief. Ein Arm lag quer über der Stirn und seine Wangen zeigten fiebrige Flecken.
Aber er war nicht allein. Am Kopf des Betts saß Jessamine in einem Sessel, ein Buch aufgeschlagen auf dem Schoß. Sie erwiderte Tessas überraschte Miene mit einem kühlen, beherrschten Blick.
»Ich ...«, setzte Tessa an, fing sich dann aber. »Was tust du hier?«
»Ich dachte, ich könnte deinem Bruder ein Weilchen vorlesen«, erwiderte Jessamine. »Alle anderen haben fast den ganzen Tag geschlafen und er wurde sträflich vernachlässigt. Nur Sophie hat ab und zu nach ihm gesehen und mit ihr kann man nun wirklich keine anständige Unterhaltung führen.«
»Nate ist bewusstlos, Jessamine, er will gar keine Unterhaltung.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, widersprach Jessamine. »Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, dass Kranke alles hören können, was man sagt - selbst wenn sie ziemlich bewusstlos oder gar tot sind.«
»Er ist auch nicht tot.«
»Natürlich nicht.« Jessamine warf Nathaniel einen langen, sehnsüchtigen Blick zu. »Außerdem ist er viel zu hübsch zum Sterben. Ist er verheiratet, Tessa? Oder gibt es in New York irgendein Mädchen, das ihm gegenüber ältere Ansprüche hat?«
»Nate gegenüber?« Tessa starrte Jessamine mit großen Augen an. Natürlich hatte es immer irgendwelche Mädchen gegeben, die sich für Nate interessierten, aber ihr Bruder besaß nun mal die Konzentrationsspanne eines Schmetterlings. »Jessamine, er ist nicht einmal bei Bewusstsein. Jetzt ist wohl kaum der richtige Moment ...«
»Er wird sich erholen«, verkündete Jessamine. »Und dann wird er wissen, dass ich diejenige bin, die ihn gesund gepflegt hat. Männer verlieben sich immer in die Frau, die sie wieder gesund gepflegt hat. ›Wenn Qual und Pein beschweren das Herz, barmherziger Engel lindert den Schmerz!‹«, zitierte sie mit einem selbstgefälligen Lächeln. Als sie Tessas entsetzten Blick bemerkte, zog sie eine finstere Miene. »Was ist los? Bin ich für deinen teuren Bruder etwa nicht gut genug?«
»Er hat überhaupt kein Geld, Jessie ...«
»Ich habe genug Geld für uns beide. Ich brauche nur jemanden, der mich aus diesem Haus herausholt. Aber das habe ich dir ja schon erzählt.«
»Genau genommen hast du mich gefragt, ob ich das nicht übernehmen wolle.«
»Oh, ist das vielleicht der Grund für deine Entrüstung?«, fragte Jessamine. »Also wirklich, Tessa, wir können doch immer noch beste Freundinnen sein, wenn wir erst einmal Schwägerinnen sind. Aber für diese Angelegenheiten eignet sich ein Mann nun mal besser als eine Frau, findest du nicht auch?«
Darauf fiel Tessa beim besten Willen keine Antwort ein.
Jessamine zuckte die Achseln. »Übrigens wünscht
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