Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
geheftet. Ihre Füße, die unter dem Rocksaum herausragten, waren nackt und schmutzig; ihr Mund stand weit auf, sodass man das glänzende Metall in ihrer Kehle erkennen konnte; und ihr linkes Auge baumelte unheimlich an seinem Kupferdraht, während in der Ferne eine Kirchenglocke zwölf Uhr Mittag schlug.
Als sie den Hydepark betraten, spürte Tessa, wie die Anspannung allmählich von ihr abfiel. Seit ihrer Ankunft in London hatte sie kein ruhiges grünes Fleckchen mehr zu sehen bekommen und fast widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass sie der Anblick der Bäume und Wiesen sehr erfreute, obwohl es ihrer Meinung nach keine Grünanlage der Welt mit dem Central Park in New York aufnehmen konnte. Im Hydepark war die Luft weniger diesig als in den anderen Teilen der Stadt und der Himmel über ihrem Kopf besaß eine Farbe, die man fast schon als Blau bezeichnen konnte.
Thomas blieb bei der Kutsche zurück, als die beiden Mädchen zu ihrem Spaziergang aufbrachen. Während Tessa neben Jessamine einherschlenderte, plapperte diese ununterbrochen und erklärte ihr, dass die breite, sandbedeckte Allee, in die sie eingebogen waren, zwar unverständlicherweise Rotten Row hieß, aber trotz ihres nicht gerade vielversprechenden Namens der Ort zum Sehen und Gesehenwerden sei. In der Mitte der Allee paradierten exquisit gekleidete Männer und Frauen auf prächtigen Pferden. Ihr vergnügtes Lachen erfüllte die sommerliche Brise, die die Schleier der Damenhüte flattern ließ. Entlang des Wegs flanierten zahlreiche Spaziergänger und unter vielen Bäumen standen Stühle und Bänke, auf denen Damen jeden Alters mit wirbelnden bunten Sonnenschirmen weilten und an ihrem Pfefferminzwasser nippten. Neben ihnen saßen schnurrbärtige Herren und schwängerten die Luft mit Tabakrauch, der sich mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras und Pferdedung mischte.
Obwohl keiner der Passanten stehen blieb, um mit ihnen ein paar Worte zu wechseln, schien Jessamine jedermann zu kennen - sie wusste zu berichten, wer demnächst heiratete, welche Damen auf der Suche nach einem Ehemann waren, welche Herren eine Affäre hatten, wer die betreffenden Damen waren und wer noch alles davon wusste. Das Ganze erschien Tessa ziemlich verwirrend und sie war froh, als sie schließlich die breite Allee verließen und einen schmaleren Weg einschlugen, der in den Park hineinführte.
Jessamine hakte sich bei Tessa unter und drückte freundschaftlich ihre Hand. »Sie ahnen ja gar nicht, welche Erleichterung es ist, endlich die Gesellschaft einer anderen Frau im Haus genießen zu können«, verkündete sie heiter. »Ich will damit natürlich nicht sagen, dass Charlotte nicht in Ordnung wäre, aber sie ist langweilig und außerdem verheiratet.«
»Was ist mit Sophie?«
Jessamine schnaubte. »Sophie ist ein Dienstmädchen.«
»Ich kenne ein paar Damen, die einen recht freundschaftlichen Umgang mit ihren Zofen pflegen«, protestierte Tessa. Genau genommen entsprach dies nicht ganz der Wahrheit: Sie hatte von solchen Frauen zwar gelesen, aber keine persönlich kennengelernt. Trotzdem: Wenn man nach den Romanen ging, die sie verschlungen hatte, dann bestand der Daseinszweck einer Zofe darin, ihrer Ladyschaft zuzuhören, während diese ihr Herz ausschüttete und über ihr tragisches Liebesleben klagte. Und gelegentlich musste die Zofe in die Kleider ihrer Dienstherrin schlüpfen und vorgeben, sie zu sein, damit diese nicht in die Hände eines Schurken fiel. Allerdings konnte Tessa sich auch nicht vorstellen, dass Sophie irgendetwas Derartiges für Jessamine auf sich nehmen würde.
»Sie haben doch gesehen, wie ihr Gesicht aussieht. Ihre verunstaltete Wange hat sie verbittert werden lassen. Eine Zofe sollte hübsch sein und Französisch sprechen, aber Sophie gelingt weder das eine noch das andere. Natürlich habe ich Charlotte diesbezüglich in Kenntnis gesetzt, als sie das Mädchen ins Haus holte. Aber Charlotte wollte nicht auf mich hören. Wie üblich.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieso«, erwiderte Tessa. Inzwischen hatten sie einen noch schmaleren Pfad betreten, der sich zwischen den Bäumen hindurchwand. Durch die Äste erkannte man das Glitzern von Wasser und die Zweige über ihren Köpfen bildeten ein dichtes Blätterdach, das das Sonnenlicht filterte.
»Genau - ich verstehe es auch nicht!« Jessamine hob ihr Gesicht und ließ die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die Blätter drangen, auf ihrer Haut tanzen. »Charlotte will auf niemanden
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