Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
die Tiefe zu
stürzen.
Es
war eine angenehme und beruhigende Stimme. Sydney kam sie bekannt vor.
Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern, wem die Stimme gehören konnte, doch
ohne Erfolg.
Ihr
Retter hatte seine kräftigen Arme um ihre Taille geschlungen und drückte sie an
seine harte Brust. Die Vielzahl der Ereignisse überwältigte sie und verschlug
ihr den Atem. Sie wagte nicht zu sprechen oder ihren Retter direkt anzuschauen.
Was immer sich hier abspielte, konnte nur ein Traum sein, und Sydney ging mit
selbstsicherer Gewissheit davon aus, bereits im nächsten Augenblick aufzuwachen
und sich in ihrem eigenen, weichen Bett wiederzufinden.
Die
Straßen in der Tiefe kamen ihr bekannt vor. Die kleinen Häuser sah sie täglich
auf dem Weg zur Schule. Erstaunt sah sie nun den Garten ihres Zuhauses und
wusste sofort, wo sie sich befand. Ihr Retter wusste es anscheinend auch, denn
er verringerte die Fluggeschwindigkeit und setzte zur Landung an.
Behutsam
setzte der Unbekannte Sydney am Boden ab, löste den festen Griff seiner Arme
und ging mehrere Schritte zurück.
Die
Wolken am Himmel bewegten sich weiter und weiter und räumten dem Mondlicht den
Weg frei. Ein Strahl fiel auf die dunkle Gestalt. Dank dem hellgrauen Schein
des Vollmondes konnte sie die Gesichtszüge ihres Retters ansatzweise erkennen.
Doch
schon im allerersten Augenblick erschrak sie. Ihr Gesicht verformte sich in
unerwartetem Entsetzen und Überraschtwerden zugleich. Sie konnte nicht glauben,
wen sie vor sich sah und schnappte ein paar Mal nach Luft, bis sich ihre Lippen
endlich zu einem leisen, fast flüsternden Aufschrei öffneten:
„Anthony?
Du?“
Man
konnte ein deutliches Beben in ihrer Stimme wahrnehmen, vermischt sowohl mit
einem Hauch Neugier als auch Erregung. Was sie vor sich sah, überwältigte sie.
Vor
ihr stand ein hochgewachsener junger Mann. Sie schaute ihn an und ihre Augen
tasteten seinen Körper ab. Er konnte regelrecht spüren, wie ihre Blicke sich
ihren Weg langsam von oben nach unten bahnten.
Seine
breiten und durchtrainierten Brustmuskeln ließen sie staunen, bis ihr Blick für
eine Weile schmachtend auf der makellosen Bauchmuskulatur verharrte. Das
Mondlicht beleuchtete nur die linke Seite seines Körpers und bildete einen
dezenten Schatten auf der rechten, der die Zwischenräume seines Sixpacks noch
deutlicher zur Schau stellte.
Doch
es war nicht der Körperbau ihres Retters, der sie in Staunen versetzte, sondern
das, was sie hinter seinem Rücken sah: Von den Schulterblättern ausgehend,
breiteten sich zwei riesige Flügel aus, deren Dimension mit nichts zu
vergleichen war, was sie jemals zuvor gesehen hatte.
Sie
erinnerte sich in diesem Moment an eine Fernsehsendung auf dem National
Geographic Channel über die größten heute noch lebenden Flugtiere der Welt, die
sie sich einmal aus Langeweile angesehen hatte. Ein schon deutlich in die Jahre
gekommener Wissenschaftler, der mit aller Mühe versuchte, die Sendung spannend
zu gestalten, sprach von dem Andenkondor, einer Vogelart, die zur Familie der
Cathartidae gehöre, im Volksmund „Neuweltgeier“ genannt. Soweit sie sich noch
entsinnen konnte, sei dies eine der größten flugfähigen Vogelarten unserer
Erde. Die Spannweite seiner Flügel betrüge zwischen drei und dreieinhalb Meter.
Doch
das, was sie gerade vor sich sah, zeigte ihr, wie ungenau die Informationen in
dieser Sendung gewesen waren.
Soweit
sie sich auf ihr Augenmaß verlassen konnte, überschritt die Spannweite der
Flügel der dunklen Gestalt vor ihr diese Marke deutlich. Seine Flügel waren mit
einem dunklen, fast schwarzen Federkleid bedeckt, das im Mondschein wellenartig
schimmerte.
Der
junge Mann, wenn man ES überhaupt so nennen konnte, gab keinen Laut von sich.
„Was,
zum Teufel, bist du?“, fragte Sydney staunend.
„Du
kennst mich doch, Sydney …“, antwortete Anthony.
„Ehm …
ja, aber wie ist das möglich?“, entgegnete sie.
„Es
gibt vieles, was du wissen solltest, Sydney, aber ich vermag dich in dieser
Angelegenheit nicht aufzuklären“, antwortete ihr Retter mit ruhiger Stimme und
schaute etwas verschüchtert zu Boden. Nur ab und zu wagte er sich, seine
Augenlider zu öffnen und Sydney direkt ins Gesicht zu schauen.
„Was
sollte ich wissen? Worüber redest du? Was geschieht hier überhaupt?“ Sydney trat
erschrocken ein paar Schritte zurück. Die Angst saß ihr immer noch tief im
Nacken, und ihre Stimme bebte vor Aufregung.
„Vor
mir solltest du keine Angst haben.
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