Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
dem er geschlagen wurde, und erstreckte sich über eine
Höhe von mehr als zwanzig Metern. An seinem Fuße breiteten sich stufenförmig
nach unten die Häuser der Stadt aus, in denen sowohl das gemeine Volk als auch die
einfachen Bauer sowie das Kriegsvolk lebte. Der stufenförmige Verlauf der Stadt
war nicht nur eine architektonische, sondern auch eine strategische Meisterleistung.
Er bot die Möglichkeit, den wertvollen Lebensraum sinnvoll und sparsam zu
nutzen, und stellte eine schwer überwindbare Barriere für die Angriffstruppen
der Feinde dar.
Doch
wie es aussah, gelang es den Feinden dieses Mal, auch diese Schwierigkeit zu
überwinden. Die Tore zum Palast, in dem sich sowohl Nathael als auch die
Königin und die restlichen Angehörigen der königlichen Leibgarde befanden,
waren von innen fest verschlossen. Seit etwa fünf Minuten konnte man das immer
lauter werdende Kriegsgeschehen von innen gut wahrnehmen. Nathael wurde langsam
bewusst, dass, wenn die Verteidiger der Festung geschlagen wären, die Tore
nicht lange Schutz bieten würden.
Es
musste dringend eine Entscheidung getroffen werden!
Er
drehte sich zu seinen Gefolgsleuten um, die – eine lebendige Schutzmauer
bildend – um die zarte Königin herum standen. Fünfzehn Mann, in drei
Reihen formiert, schauten ihn an und erwarteten seine Befehle.
„Männer …“,
sagte Nathael mit seiner tiefen, gebieterischen Stimme.
„…
Soldaten … meine Freunde! Es ist nun der Tag gekommen, an dem wir unserem Ruf,
mehr als je zuvor, alle Ehre erweisen müssen. Wir alle haben einst geschworen,
die Königin mit unserem Leib und unserer Seele zu verteidigen, und heute werden
wir unser Eid erfüllen!
Mich
erfüllt es bereits jetzt mit Stolz und Freude, heute, hier an diesen
glorreichen Tag mit euch, meine treuen Gefährten, in den Kampf zu ziehen.
Lasst
uns die Köpfe unserer Feinde mit den Hieben unserer Schwerter spalten, und möge
uns der Herr diese Taten nicht übel nehmen!“
Ein
lautes, zustimmendes Gebrüll ertönte in der Halle. Die Männer der Leibgarde
zogen fast gleichzeitig – als ob sie für diesen Augenblick ihr ganzes
Leben lang trainiert hätten – ihre langen Schwerter aus den Scheiden und
schlugen die flachen Seiten gegen ihre Harnische.
Die
Halle erbebte.
„Was
wird mit Königin Lothaire passieren, mein Herr?“, unterbrach eine junge
Männerstimme die überwältigenden Rufe. Es war Aragon, einer der jüngsten
Leibwächter, der erst vor sechs Monaten mit zwei anderen Anwärtern seinen
Dienst angetreten hat.
Nathael
wandte sich dem Jüngling zu. Seine gebieterische Stimme erschallte wieder in
der fast leeren Halle, die durch das hervorgerufene Echo seinen Worten noch
mehr Kraft verlieh.
„Aragon!
Du, Aaron und Elias bleiben bei der Königin. Falls unser Vorhaben scheitert,
wird es eure Aufgabe sein, für die Rettung unserer Erhabenen zu sorgen. Ihr
werdet mit ihr ins Exil gehen und sie dadurch in Sicherheit bringen.“
Die
drei Jünglinge starrten sich gegenseitig an – mit einem etwas verwirrten,
aber doch entschlossenen und stolzen Blick. Dass ihnen eine solch
verantwortungsvolle, ja sogar für sie die größte Aufgabe in ihrem noch jungen
Leben zuteilwerden sollte, hätten sie sich niemals träumen lassen.
Jetzt
lichteten sich die Reihen.
Die
zwölf Krieger schritten zu ihrem Anführer vor, und nur die drei jüngsten von
ihnen blieben an der Seite der Königin stehen.
Das
Kampfgeschrei auf der anderen Seite der Tür wurde immer lauter; die Anwesenden
spürten die nahekommende Gefahr, die man beim Einatmen der Luft sogar
regelrecht schmecken konnte. Das Aufstöhnen der Verwundeten und die letzten
Todesschreie der Sterbenden ließen der einst so furchtlosen Königin kalte
Schauer über den Rücken laufen. Doch vielmehr empfand sie Trauer und Mitleid
für die Krieger, die ihr Leben dafür opferten, sie zu beschützen. Das Klirren
der Klingen und das laute Zerbersten der Harnische fügten ihrer Seele
unerträgliche Schmerzen zu.
Die
zwölf Krieger, angeführt von Nathael, gingen nun vor der Königin auf die Knie
und senkten die Köpfe. Es kam ihr so vor, als ob ein Teppich aus glänzendem
Metall vor ihren Füßen ausgelegt würde; sie schritt auf die Männer zu und
fasste Nathael an der Schulter.
„Edle
Männer, erhebt euch wieder. Nicht ihr müsstet euch vor mir, sondern ich mich
vor euch verneigen. Was gäbe ich dafür, euch dieses Leid und diese
unermesslichen Qualen zu ersparen.“ Zwei funkelnde Tränen rollten
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