Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
ich mir ein Spaghetti-Bad gewünscht.«
»Aber damit war dein Vater natürlich nicht einverstanden, oder?«
»Doch, doch. Das ist es ja gerade. Er war einverstanden. Er meinte, es sei nicht teuer … also warum nicht, wo ich es mir doch so sehr wünschte? Er wies unsere Dienstboten an, eine Wanne mit kochendem Wasser und Nudeln zu füllen, und als die Mischung ein wenig abgekühlt war …«, er zuckte die Achseln, »… habe ich darin gebadet.«
Dienstboten? , dachte Clary und fragte laut: »Und, wie war’s?«
»Glitschig.«
»Glaube ich gerne.« Sie versuchte, ihn sich als kleinen Jungen vorzustellen, kichernd und bis zu den Ohren in warmen Nudeln. Doch das Bild wollte vor ihrem inneren Auge nicht entstehen. Jace hatte garantiert nie gekichert, nicht einmal als Fünfjähriger. »Und was hast du dir noch gewünscht?«
»Hauptsächlich Waffen«, sagte er, »was dich kaum verwundern dürfte. Und Bücher. Ich habe viel gelesen, meistens für mich allein.«
»Bist du denn nicht zur Schule gegangen?«
»Nein«, erwiderte er gedehnt, als nähere sich das Gespräch nun einem Thema, über das er nicht reden wollte.
»Aber deine Freunde …«
»Ich hatte keine Freunde«, sagte er. »Abgesehen von meinem Vater. Er war alles, was ich brauchte.«
Sie starrte ihn an. »Du hattest überhaupt keine Freunde?«
Er hielt ihrem Blick stand. »Als ich Alec begegnete, war ich zehn Jahre alt«, erklärte er. »Das war das erste Mal, dass ich ein anderes Kind in meinem Alter kennenlernte. Das erste Mal, dass ich einen Freund hatte.«
Sie blickte zu Boden. Vor ihrem inneren Auge nahm nun ein anderes, unangenehmes Bild Gestalt an: Sie dachte an Alec, daran, wie er sie angesehen hatte. So was würde er niemals sagen.
»Du musst mich nicht bemitleiden«, meinte Jace, als hätte er ihre Gedanken erraten. Dabei war gar nicht er derjenige, für den sie Mitleid empfand. »Mein Vater hat mir die beste Erziehung, die beste Kampfausbildung zuteil werden lassen, die man sich vorstellen kann. Er hat mir die ganze Welt gezeigt. London. Sankt Petersburg. Ägypten. Wir sind damals viel gereist.« Seine Augen verdüsterten sich. »Seit er gestorben ist, bin ich nirgendwo mehr gewesen. Abgesehen von New York.«
»Du kannst dich glücklich schätzen«, erwiderte Clary. »Ich bin in meinem Leben noch kein einziges Mal aus diesem Bundesstaat herausgekommen. Meine Mutter hat mich nicht mal auf Klassenfahrt nach Washington mitfahren lassen. Ich schätze, ich weiß jetzt, warum«, fügte sie wehmütig hinzu.
»Weil sie fürchtete, dass du ausflippen könntest? Dämonen im Weißen Haus sehen würdest?«
Clary knabberte an einem Stück Schokoriegel. »Im Weißen Haus gibt es Dämonen?«
»Das war nur ein Witz … denke ich zumindest.« Gelassen zuckte er die Achseln. »Eigentlich bin ich mir sicher – irgendjemand hätte es sonst erwähnt.«
»Vermutlich wollte sie mich einfach nicht zu weit von sich weglassen. Meine Mutter, meine ich. Nach dem Tod meines Vaters hat sie sich total verändert.« Lukes Stimme hallte in ihrem Kopf nach. Du bist danach nie mehr dieselbe gewesen, aber Clary ist nun mal nicht Jonathan.
Jace zog fragend eine Augenbraue hoch. »Erinnerst du dich an deinen Vater?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er starb, bevor ich auf die Welt kam.«
»Da kannst du froh sein«, sagte er. »So vermisst du ihn auch nicht.«
Jedem anderen hätte sie diese Bemerkung übel genommen, doch zur Abwechslung schwang in seiner Stimme keinerlei Sarkasmus mit, nur eine tiefe Sehnsucht nach seinem eigenen Vater. »Geht das Gefühl irgendwann vorüber?«, fragte sie. »Dass man ihn vermisst, meine ich?«
Er sah sie von der Seite an, beantwortete ihre Frage aber nicht. »Denkst du viel an deine Mutter?«
Nein. Auf diese Weise dachte sie nicht an ihre Mutter. »Eher an Luke …«
»Auch wenn das nicht sein richtiger Name ist.« Sinnierend biss Jace in ein Apfelstück. »Ich hab eine Weile über ihn nachgedacht. Irgendetwas an seinem Verhalten passt nicht zusammen …«
»Er ist ein Feigling.« Clarys Stimme klang bitter. »Du hast ihn doch gehört. Er wird sich nicht gegen Valentin stellen. Nicht einmal für meine Mutter.«
»Aber das ist es ja gerade, was ich …« Lange, tiefe Glockentöne unterbrachen ihn. Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr. »Mitternacht«, sagte Jace und legte das Messer beiseite. Er stand auf und streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. An seinen Fingern klebte ein wenig Apfelsaft. »So, pass
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