Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
bewegen, so als wäre er auf der anderen Seite in eine dickflüssige, klebrige Masse eingebettet …
Plötzlich flog die Tür mit einem Ruck auf und traf Clary mit voller Wucht. Sie schlitterte durch den Wohnungsflur, prallte gegen die Wand und blieb auf dem Bauch liegen. In ihren Ohren dröhnte ein dumpfes Gebrüll, während sie auf die Knie zu kommen versuchte.
Jace presste sich flach gegen die Wand und griff hastig in seine Jackentasche; sein Gesicht war ein einziges überraschtes Fragezeichen. Wie ein Riese aus einem Märchen ragte über ihm ein hünenhafter Mann auf, mit Beinen wie Baumstämme, und schwang drohend eine Breitaxt. Dreckige Lumpen hingen von seinem Körper herab und seine langen Haare waren zu einer dreckstarrenden Matte verfilzt. Er stank nach giftig saurem Schweiß und fauligem Fleisch. Clary war froh, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte – der Anblick seiner Rückseite genügte ihr völlig.
Jace hatte plötzlich den Seraphstab in der Hand, streckte den Arm aus und rief: »Sansavi!«
Wie von Zauberhand schoss eine Klinge aus dem Stab hervor. Clary musste an alte Spielfilme denken, wo Bajonette im Inneren von Spazierstöcken versteckt waren und auf Knopfdruck zum Vorschein kamen. Aber eine derartige Klinge hatte sie noch nie gesehen: klar wie Glas, mit einem leuchtenden Heft, ungemein scharf und fast so lang wie Jace’ Unterarm. Jace stieß zu und schlitzte den Riesen auf, der mit einem Brüllen zurücktaumelte.
Jace wirbelte herum und rannte auf Clary zu. Er packte sie am Arm, zog sie auf die Füße und schob sie vor sich den Flur entlang. Sie konnte den Koloss hinter sich hören; er folgte ihnen. Seine Schritte klangen, als würden schwere Bleigewichte auf den Boden fallen, und er holte rasch auf.
Sie rasten durch die Wohnungstür, hinaus ins Treppenhaus. Jace wirbelte herum, um die Tür hinter sich zuzuschlagen. Clary hörte das Klicken des automatischen Sicherheitsschlosses und hielt den Atem an. Die Tür erzitterte in den Scharnieren, als ein gewaltiger Axthieb aus dem Inneren der Wohnung dagegendonnerte. Clary rannte zur Treppe. Jace warf ihr einen Blick zu. Seine Augen funkelten vor fieberhafter Begeisterung. »Lauf nach unten! Bring dich in Sicherheit …«
Ein weiterer Schlag traf das Türblatt und dieses Mal gaben die Scharniere nach und die Tür flog aus dem Rahmen. Sie hätte Jace mit voller Wucht getroffen, wenn er nicht blitzschnell zur Seite gesprungen wäre – so schnell, dass Clary es kaum mitbekam. Plötzlich stand er auf der obersten Stufe; die Klinge in seiner Hand strahlte hell wie ein Komet. Clary sah, dass Jace ihr etwas zurief, konnte ihn aber wegen des Gebrülls des Kolosses nicht verstehen, der nun durch die zertrümmerte Tür brach und sich auf Jace stürzte. Sie presste sich flach gegen die Wand, als die Kreatur in einer Woge aus Hitze und Gestank an ihr vorbeistampfte. Im nächsten Moment flog die mächtige Breitaxt wie von einem Katapult abgefeuert durch die Luft auf Jace’ Kopf zu. Er duckte sich und die Schneide der Axt grub sich in das Treppengeländer, drang tief in das Holz ein.
Jace lachte. Das Gelächter schien den Koloss in noch größere Wut zu versetzen; er ließ die Axt stecken und torkelte mit erhobenen Fäusten auf Jace zu. Jace parierte den Angriff mit einer fließenden Bewegung und bohrte der Kreatur die Seraphklinge bis zum Heft in die Schulter. Einen Moment lang stand der Riese schwankend da. Dann taumelte er nach vorne, mit ausgestreckten Händen, die nach Jace griffen. Hastig sprang Jace zur Seite, doch er war nicht schnell genug: Die gewaltigen Fäuste bekamen ihn in dem Augenblick zu fassen, als der Koloss wankte und die Treppe hinunterstürzte. Er riss Jace mit sich. Jace schrie auf; dann ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und Splittern, gefolgt von Totenstille.
Clary rappelte sich auf und rannte die Stufen hinunter. Jace lag ausgestreckt am Fuß der Treppe; sein linker Arm ragte in einem unnatürlichen Winkel unter ihm hervor. Seine Beine waren unter dem Riesen eingeklemmt, in dessen Schulter die Seraphklinge bis zum Heft eingedrungen war. Der Koloss lebte zwar, zuckte aber nur noch schwach; blutiger Schaum lief ihm aus dem Mundwinkel. Clary konnte sein Gesicht nun deutlicher sehen: die totenbleiche, papierdünne Haut war mit einem schwarzen Gitterwerk schrecklicher Narben überzogen, das seine Züge fast vollkommen entstellte. Seine Augenhöhlen waren rot und vereitert. Clary unterdrückte das Gefühl aufsteigender
Weitere Kostenlose Bücher