Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Experimente mehr mit einem leiblichen Kind durchzuführen.«
Du lügst!, wollte Clary ihm entgegenschleudern, bekam allerdings allmählich selbst Zweifel. Valentin klang immer noch sehr merkwürdig. Verändert. Aber vielleicht lag das nur daran, dass er zur Abwechslung einmal die Wahrheit sagte.
»Nachdem deine Mutter aus Idris geflohen war, habe ich jahrelang nach ihr gesucht«, fuhr Valentin fort. »Und das nicht nur, weil sie den Engelskelch mitgenommen hatte. Sondern weil ich sie geliebt habe. Ich dachte, wenn ich nur einmal Gelegenheit hätte, mit ihr zu reden, könnte ich sie vielleicht dazu bringen, Vernunft anzunehmen. Was ich in jener Nacht inAlicante getan habe, geschah in einem Anfall von Wut - ich wollte sie zerstören, alles zerstören, was unser gemeinsames Leben betraf. Doch danach …«Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab und schaute über den See. »Als ich sie endlich aufgespürt hatte, hörte ich die Gerüchte … dass sie ein weiteres Kind bekommen habe, eine Tochter. Ich nahm an, das Kind sei von Lucian. Er hatte sie schon immer geliebt, sie mir immer wegnehmen wollen. Ich ging davon aus, dass sie ihm nach all den Jahren nachgegeben hatte. Dass sie einverstanden gewesen war, ein Kind von einem dreckigen Schattenweltler zu bekommen.« Valentins Stimme klang nun wieder angespannt. »Als ich sie schließlich in eurer Wohnung in New York fand, war sie kaum noch bei Bewusstsein. Aber siefauchte mir noch entgegen, dass ich ihr erstes Kind in ein Monster verwandelt hätte und sie mich verlassen hätte, ehe ich ihrem zweiten dasselbe antun konnte. Danach fiel sie in meinen Armen ins Koma. All diese Jahre hatte ich nach ihr gesucht und dann blieb mir nur dieser kurze Moment mit ihr. Diese wenigen Sekunden, in denen sie mich mit einem lebenslang angestauten Hass anstarrte. In dem Moment ist mir etwas bewusst geworden.«
Mit einer kraftvollen Bewegung hob Valentin Mellartach an. Clary erinnerte sich an ihren Versuch, das noch nicht vollständig verwandelte Engelsschwert in die Hand zu nehmen, erinnerte sich daran, wie schwer es damals schon gewesen war. Nun konnte sie beobachten, wie auch die Muskulatur von Valentins Armen sich deutlich abzuzeichnen begann - harte Stränge wie Seile, die sich unter der Haut strafften.
»Damals ist mir klar geworden, dass sie mich aus einemeinzigen Grund verlassen hatte - um dich zu schützen«, setzte Valentin seinen Monolog fort. »Jonathan hat sie gehasst, aber dich … für dich hätte sie alles getan, um dich zu schützen. Vor mir zu schützen. Sie hat es sogar auf sich genommen, inmitten von Irdischen zu leben, was sie sehr viel Überwindung gekostet haben muss. Es muss ihr sehr schwergefallen sein, dich nicht nach unseren Traditionen und Gebräuchen großziehen zu können. Du bist nur die Hälfte von dem Mädchen, das du eigentlich sein könntest. Du hast deine besondere Runen-Gabe, doch dieses Talent wurde durch deine irdische Erziehung verschwendet.«
Langsam ließ er das Schwert sinken. Die Spitze schwebte auf Höhe von Clarys Gesicht; sie konnte sie aus dem Augenwinkel erkennen, wo sie wie ein silberner Nachtfalter am Rand ihres Sichtfelds verharrte.
»In dem Moment wusste ich, dass Jocelyn niemals zu mir zurückkehren würde … deinetwegen! Du bist das Einzige auf der Welt, was sie mehr liebt als mich. Deinetwegen hasst sie mich nun. Und aus diesem Grund hasse ich deinen Anblick.«
Ruckartig wandte Clary das Gesicht ab. Wenn er sie jetzt töten würde, wollte sie ihren nahenden Tod nicht auch noch direkt vor Augen haben.
»Clarissa«, sagte Valentin. »Sieh mich an.«
Nein. Clary starrte eisern auf den See hinaus. Auf der anderen Seite des spiegelnden Gewässers konnte sie einen schwachen rötlichen Schein erkennen, wie von glimmender Glut inmitten warmer Asche. Sie wusste, dass es sich um die Flammen der Schlacht handeln musste. Ihre Mutter war dort drüben und Luke. Vielleicht war es ja nur passend, dass die beiden Seite an Seite kämpften, auch wenn sie nicht bei ihnen sein konnte.
Ich werde meine Augen auf diesen Lichtschein heften, dachte Clary. Ich werde einfach nur dorthin schauen, egal, was kommt. Er soll das Letzte sein, was ich jemals sehe.
»Clarissa«, wiederholte Valentin. »Du siehst genauso aus wie sie, hast du das gewusst? Genau wie Jocelyn.«
Clary spürte einen stechenden Schmerz an der Wange - die Klinge des Engelsschwerts. Valentin drückte die Kante gegen ihre Haut, um sie zu zwingen, den
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