Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
eine lang gestreckte schwarze Flamme im hellen Elbenlicht. In den Sand um den improvisierten Altar herum waren schwarze Runen gegraben. Angestrengt versuchte Clary, sie zu entziffern, doch sie schienen wirr und ohne Bedeutung …
Plötzlich bewegte sich ein Schatten über den Strand und kam rasch auf sie zu - der lange schwarze Schatten eines Mannes, der im tanzenden Schein der Fackeln flackernd und verschwommen wirkte. Als Clary endlich mühsam den Kopf gehoben hatte, stand er bereits vor ihr.
Valentin.
Der Schock seines Anblicks war so groß, dass sie es fast schon nicht mehr als Schock empfand. Sie spürte rein gar nichts, während sie ihrem Vater ins Gesicht starrte, das vor dem schwarzen Nachthimmel wie ein fahler Mond leuchtete - weiß, ernst und mit schwarzen Augenhöhlen, die an tiefe Meteoritenkrater erinnerten. Eine Reihe von Ledergurten spannte sich über seine Brust, jeweils bestückt mit etwa einem Dutzend Waffen, die hinter seinem Rücken wie die Stacheln eines Stachelschweins aufragten. Valentin wirkte riesig und unfassbar breitschultrig - die Furcht einflößende Statue eines auf Zerstörung sinnenden Kriegsgottes.
»Clarissa«, sagte er, »du bist ein ziemliches Risiko eingegangen, dich einfach hierherzuteleportieren. Du kannst froh sein, dass ich dich im Wasser entdeckt habe und gerade noch rechtzeitig herausziehen konnte. Du warst bewusstlos - wenn ich nicht gewesen wäre, wärst du ertrunken.« Ein Muskel in seinem Mundwinkel zuckte leicht. »Und an deiner Stelle würde ich auch nicht allzu große Hoffnung in die Schutzschilde rund um den See setzen - ich habe sie gleich nach meiner Ankunft deaktiviert. Also weiß niemand, dass du hier bist.«
Das glaube ich dir nicht! Clary öffnete den Mund, um ihm dieWorte ins Gesicht zu schleudern. Doch es kam kein Ton über ihre Lippen. Clary fühlte sich wie in einem jener Albträume, in denen sie laut schreien wollte, aber nichts passierte. Lediglich ein Hauch warmer Luft drang aus ihrem Mund - das Röcheln eines Menschen, der mit aufgeschlitzter Kehle zu schreien versucht.
Valentin schüttelte den Kopf. »Bemüh dich erst gar nicht. Ich habe dich im Nacken mit einer Schweigerune versehen, eine jener Runen, die die Brüder der Stille gern verwendet haben. Deine Handgelenke sind mit einer Fesselungsrune zusammengebunden und eine weitere Rune macht deine Beine unbrauchbar. An deiner Stelle würde ich gar nicht erst versuchen aufzustehen - deine Beine werden dich nicht tragen und das Ganze würde dir nur zusätzliche Schmerzen bereiten.«
Wütend funkelte Clary ihn an und versuchte, ihn mit einem hasserfüllten Blick zu durchbohren. Doch Valentin nahm davon keinerlei Notiz.
»Du solltest wissen, es hätte viel schlimmer kommen können. Als ich dich aus dem See zog, hatte das Seewasser bereits begonnen, seine giftige Wirkung zu entfalten. Ich habe dich geheilt, nebenbei bemerkt. Allerdings erwarte ich keine Dankesbezeugungen.« Er lächelte matt. »Du und ich, wir zwei haben uns nie richtig unterhalten können, oder? Jedenfalls kein richtiges Gespräch führen können. Sicherlich fragst du dich, warum ich mich als Vater nie für dich interessiert habe. Es tut mir leid, falls du darunter gelitten haben solltest.«
Clarys hasserfüllter Blick wandelte sich in reine Skepsis. Wie konnten sie ein Gespräch führen, wenn sie nicht einmal in der Lage war zu sprechen? Erneut versuchte sie, ein paar Worteüber ihre Lippen zu bringen, doch ihrer Kehle entwich nur ein leiser Lufthauch.
Valentin drehte sich nun zum Altar um und legte eine Hand auf das Engelsschwert - Mellartach, das ein schwarzes Licht ausstrahlte, eine Art umgekehrtes Glühen, als würde es den Schein der Elbenfackeln aus der Luft aufsaugen. »Ich wusste nicht, dass deine Mutter mit dir schwanger war, als sie mich verließ«, fuhr Valentin fort. Er sprach mit ihr auf eine Art und Weise, wie er es nie zuvor getan hatte, dachte Clary. Sein Ton war ruhig, fast ungezwungen - doch das war es nicht, was ihr so merkwürdig erschien. »Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Deine Mutter dachte, sie könnte ihre Niedergeschlagenheit vor mir verbergen. Also nahm ich etwas von Ithuriels Blut, trocknete es zu einem Pulver und rührte es unter ihr Essen, in der Annahme, dass dies vielleicht ihre Melancholie heilen würde. Wenn ich gewusst hätte, dass sie zu diesem Zeitpunkt wieder schwanger war, hätte ich das niemals getan. Ich hatte mich ohnehin schon entschlossen, keine
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