Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Krallen.
Der Rabe erwischte Malachi mit der Spitze einer Klaue und zog eine blutige Furche quer über sein Gesicht. Mit einem Aufschrei ließ der Konsul Clary los und riss abwehrend die Armehoch, doch Hugo war bereits umgedreht und hackte wütend mit Schnabel und Klauen auf ihn ein. Malachi stolperte mit rudernden Armen rückwärts, bis er hart gegen die Kante einer Bank prallte, die krachend umstürzte. Im nächsten Moment fiel er mit einem erstickten Schrei der Länge nach darüber - und verstummte urplötzlich.
Clary lief zu der Stelle, an der Malachi zusammengekrümmt auf dem Marmorboden lag, inmitten einer Blutlache. Er war in einen Haufen Scherben gestürzt, die von der zerbrochenen Decke stammten, und eine der gezackten Spitzen hatte seine Kehle durchbohrt. Hugo kreiste noch immer über der Szenerie und beäugte Malachis Leichnam. Er gab ein triumphierendes Krächzen von sich, während Clary ihn anstarrte - offensichtlich hatten ihm die Tritte des Konsuls gar nicht gefallen. Malachi hätte es besser wissen müssen, dachte Clary: Niemand attackierte ungestraft eine von Valentins Kreaturen, denn sie waren genauso nachtragend wie ihr Herr und Meister.
Doch jetzt war nicht die Zeit, um lange über Malachi nachzudenken. Alec hatte ihr erzählt, dass rund um den See Schutzschilde errichtet worden waren, die einen Alarm auslösten, wenn irgendjemand in ihrer Nähe ein Portal öffnete. Valentin befand sich wahrscheinlich schon am Spiegel - sie durfte also keine Zeit verlieren. Langsam, die Augen konstant auf den Raben gerichtet, machte Clary ein paar Schritte rückwärts; dann drehte sie sich um und lief in Richtung der Eingangstüren, auf das schimmernde Portal zu.
20
G EWOGEN U ND A LS Z U L EICHT B EFUNDEN
Die Fluten trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. Nach Luft ringend, versank Clary in eisiger Finsternis. War das Portal vielleicht schon zu weit verblasst und nicht mehr funktionsfähig gewesen und steckte sie nun in der wirbelnden Dunkelheit des Zwischenraums fest, wo sie langsam ersticken und sterben würde - genau wie Jace sie vor der ersten Nutzung eines Portals gewarnt hatte?
Oder war sie vielleicht schon tot?
Vermutlich hatte sie nur wenige Sekunden das Bewusstsein verloren, doch es erschien Clary wie das Ende allen Daseins. Als sie wieder zu sich kam, erwachte sie mit einem Schock - vergleichbar dem Schock, den man beim Einbruch durch eine dünne Eisdecke erleidet. Im einen Moment war sie noch ohnmächtig gewesen und im nächsten schlagartig hellwach. Sie lag mit dem Rücken auf einem kalten, feuchten Boden und starrte hinauf zum Himmel, der so sternenübersät war, dass er wie ein schwarzes Tuch mit dicht verstreuten Silbersplittern aussah. Plötzlich spürte Clary einen Schwall fauliger Flüssigkeit in ihrem Mund, beugte sich hastig zur Seite und hustete und würgte, bis sie wieder Luft bekam.
Als ihr Magen nicht länger krampfartig Flüssigkeit nachoben schickte, rollte sie sich auf die Seite. Ihre Handgelenke waren mit einem schwach glühenden Lichtband gefesselt und ihre Beine fühlten sich schwer und seltsam an, als würden Tausende von Nadeln darin stecken. Clary fragte sich, ob sie vielleicht falsch gelegen und sich einen Nerv eingeklemmt hatte oder ob es sich nur um die Nachwirkungen ihres beinahen Ertrinkungstods handelte. Außerdem schmerzte ihr Nacken, als wäre sie von einer Wespe gestochen worden. Schnaufend hievte Clary sich in eine aufrechte Sitzposition, wobei ihre Beine seltsam taub vor ihr lagen, und schaute sich um.
Sie befand sich am Ufer des Lyn-Sees, wo der Flutsaum langsam in weichen Sand überging. Hinter ihr erhob sich eine steile schwarze Felswand - die Klippen, an die sie sich noch von ihrem letzten Aufenthalt am See, zusammen mit Luke, erinnerte. Der Strand wirkte dunkel und glitzerte nur dort silbern, wo Elbenlichtfackeln brannten und die Luft mit ihrem hellen Schein erfüllten, der sich wie eine funkelnde Perlenkette auf der Wasseroberfläche spiegelte. .
Am Ufer des Sees, nur wenige Meter von ihr entfernt, ragte ein niedriger, altarartiger Tisch auf, der aus aufeinandergestapelten flachen Steinen bestand. Offensichtlich hatte jemand die Steine in großer Eile arrangiert, denn obwohl in den Zwischenräumen feuchter Sand schimmerte, waren einige der Steine bereits seitlich weggerutscht. Auf der obersten Steinplatte befand sich etwas, das Clary den Atem anhalten ließ: der Kelch der Engel und darauf das Schwert der Engel -
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