Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Wayland nie gegeben hätte, wenn Clary niemals von ihrer Schattenjäger-Natur erfahren hätte. Aber diesen Gedanken schob er beiseite — es war sinnlos, darüber nachzudenken. Man konnte die Vergangenheit nicht ändern; man konnte nur nach vorne schauen. Nicht dass er auch nur irgendeine Vorstellung davon gehabt hätte, was dieses »Nach-Vorne-Schauen« mit sich brachte. Schließlich konnte er nicht ewig in Erics Garage bleiben. Selbst in seinem gegenwärtigen Gemütszustand musste er sich eingestehen, dass dieser Raum nicht gerade einladend war. Simon fror zwar nicht — im Grunde war er nicht mehr in der Lage, so etwas wie Kälte oder Wärme überhaupt noch zu spüren —, aber der Betonboden war hart und er hatte größte Mühe einzuschlafen. Er wünschte, er könnte seine Sinne irgendwie dämpfen. Der laute Verkehrslärm von der Straße vor dem Haus hinderte ihn daran einzunicken — genau wie der stechende Benzingeruch in der Garage. Aber das Schlimmste war die quälende Sorge darüber, was er als Nächstes tun sollte.
Von seinen Blutvorräten hatte er den größten Teil entsorgt und den verbleibenden Rest in seinen Rucksack gestopft — das würde für die nächsten Tage reichen, aber danach musste er schleunigst für Abhilfe sorgen. Eric würde ihn sicherlich bei sich wohnen lassen, aber das würde möglicherweise dazu führen, dass Erics Eltern mit seiner Mutter telefonierten. Und da sie wiederum glaubte, er wäre auf einem Schulausflug, konnte er dieses Risiko nicht eingehen.
Ein paar Tage, überlegte er, das war exakt der Zeitraum, der ihm noch blieb. Bis seine Blutreserven aufgebraucht waren. Bis seine Mutter sich fragte, wo er steckte, und in der Schule anrief. Bis sie sich wieder erinnerte. Er war jetzt ein Vampir. Und eigentlich sollte ihm die Ewigkeit zur Verfügung stehen. Aber ihm blieben gerade einmal noch ein paar Tage.
Dabei war er so vorsichtig gewesen, hatte so hart um etwas gekämpft, was er als »normales Leben« bezeichnete — Schule, Freunde, sein eigenes Zuhause, sein eigenes Zimmer. Natürlich war es schwierig gewesen, aber so war das Leben nun mal. Alle anderen Möglichkeiten erschienen ihm derart trostlos und einsam, dass er gar nicht daran denken mochte. Und dennoch ertönte nun Camilles Stimme in seinem Kopf. Was ist in zehn Jahren, wenn du eigentlich deinen sechsundzwanzigsten Geburtstag feiern solltest? Oder in zwanzig oder dreißig Jahren? Glaubst du ernsthaft, dass niemand merken wird, wie alle um dich herum altern und sich verändern, nur du nicht?
Die Situation, die er für sich geschaffen und so sorgfältig in die Rahmenbedingungen seines alten Lebens eingepasst hatte, war nie von Dauer gewesen, erkannte er nun niedergeschlagen. Und das hatte sie auch nicht sein können. Denn er hatte sich an Schatten der Vergangenheit und Erinnerungen geklammert. Erneut musste er an Camille und an ihr Angebot denken. Mittlerweile klang es deutlich verlockender als noch vor ein paar Tagen: das Angebot, Teil einer Gemeinschaft zu werden, selbst wenn es sich nicht um die Gemeinschaft handelte, die er sich wünschte. Ihm blieben nur noch drei Tage, bis die Vampirdame eine Reaktion von ihm erwartete. Und was würde er ihr dann sagen? Er hatte gedacht, er würde die Antwort kennen, doch inzwischen war er sich nicht mehr so sicher.
Ein knirschendes Geräusch riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Das Garagentor bewegte sich langsam nach oben und grelles Tageslicht drang in die Dunkelheit des Raumes. Simon setzte sich ruckartig auf; sein ganzer Körper war plötzlich in Alarmbereitschaft versetzt.
»Eric?«
»Nein. Ich bin’s nur. Kyle.«
»Kyle?«, wiederholte Simon verständnislos, ehe er sich erinnerte — das war der Typ, den sie als Leadsänger für die Band engagieren wollten. Fast hätte Simon sich wieder auf den Boden gelegt. »Ach ja, richtig. Von den anderen ist momentan keiner da, falls du also gehofft hast, heute proben zu können …«
»Ist schon okay. Deswegen bin ich nicht hier.« Kyle betrat die Garage, die Hände in den Gesäßtaschen seiner Jeans, und blinzelte in die Dunkelheit. »Du bist der … der Dingsda … der Bassist, stimmt’s?«
Simon erhob sich vom Boden und klopfte sich den Staub von der Kleidung. »Hi, ich heiße Simon.«
Langsam schaute Kyle sich um, eine Sorgenfalte auf der Stirn. »Ich muss gestern meine Schlüssel hier irgendwo verloren haben … glaube ich zumindest. Ich hab schon überall danach gesucht. Hey, da sind sie ja.« Er bückte sich,
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