Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
auch Simon schwer, Lukes Worten Glauben zu schenken.
In der Ferne leuchtete das Fifth Avenue Diner wie ein Stern am blauen Abendhimmel. Simon schlenderte neben Clary den Gehweg entlang, nur wenige Schritte hinter Jocelyn und Luke, die ihnen vorangingen. Clary hatte das Kleid wieder gegen T-Shirt und Jeans getauscht und sich einen dicken weißen Schal umgewickelt. Hin und wieder griff sie sich an die Kehle und spielte mit dem silbernen Ring an der Kette um ihren Hals — eine nervöse Geste, von der Simon nicht sagen konnte, ob Clary sich dessen überhaupt bewusst war.
Als sie aus dem Brautmodengeschäft kamen, hatte Simon sie gefragt, was mit Jace los sei. Aber Clary hatte seine Frage nicht beantwortet, sondern nur die Achseln gezuckt und ihn ihrerseits gefragt, wie es ihm ginge und ob er schon mit seiner Mutter gesprochen habe und ob es ihm etwas ausmache, bei Eric zu übernachten. Seine Erklärung, dass er inzwischen bei Kyle untergekommen sei, hatte sie sehr überrascht.
»Aber du kennst ihn doch kaum«, hatte sie eingewendet. »Er könnte ein Massenmörder sein.«
»Der Gedanke ist mir auch gekommen. Und ich hab seine Wohnung durchsucht, aber falls er irgendwo eine Kühlbox mit abgetrennten Armen rumstehen hat, hab ich sie noch nicht gefunden. Na, jedenfalls scheint er ein ziemlich ernsthafter Typ zu sein.«
»Wie ist denn seine Wohnung so?«
»Ganz nett für Alphabet City. Du kannst ja nachher mitkommen.«
»Heute Abend geht’s nicht«, erwiderte Clary leicht gedankenverloren und fummelte erneut an dem Ring herum. »Vielleicht morgen?«
Triffst du dich noch mit Jace?, dachte Simon, drang aber nicht weiter in sie. Wenn Clary nicht darüber reden wollte, würde er sie nicht dazu zwingen. »Da wären wir.« Er hielt ihr die Restauranttür auf und eine Woge warme, nach Soullaki duftende Luft schlug ihnen entgegen.
Sie fanden eine Eckbank in der Nähe der riesigen Flachbildschirme, die die Mauern säumten, und rutschten bis zur Wand durch, während Jocelyn und Luke aufgeregt Hochzeitspläne besprachen. Anscheinend fühlten sich die Mitglieder von Lukes Rudel vor den Kopf gestoßen, weil man sie nicht zur Trauung eingeladen hatte — obwohl die Gästeliste generell sehr klein war —, und bestanden nun darauf, eine eigene Feier in einem restaurierten Fabrikgebäude in Queens zu organisieren. Clary hörte zu, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, während die Kellnerin zu ihnen an den Tisch kam und ihnen derartig steif laminierte Speisekarten reichte, dass man sie fast als Waffen hätte einsetzen können.
Simon legte seine Karte auf den Tisch und starrte aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Sportstudio und er konnte durch die großen Glasscheiben hindurch Leute erkennen, die sich auf Laufbändern abstrampelten oder an Fitnessgeräten trainierten, fast alle mit Knopfhörern in den Ohren. Dieses ganze Gerenne, ohne jemals irgendwo anzukommen, dachte er. Aber wem sag ich das …
Entschlossen versuchte er, seine Gedanken in eine andere, weniger düstere Richtung zu lenken, was ihm auch fast gelang: Dies hier bildete eines der vertrautesten Szenarien seines Lebens — eine Eckbank in einem Diner, er selbst und Clary und ihre Familie. Luke hatte schon immer zur Familie gehört, auch zu Zeiten, als er noch nicht kurz vor der Hochzeit mit Clarys Mom stand. Eigentlich hätte Simon sich wie zu Hause fühlen müssen. Er zwang sich zu einem Lächeln, nur um dann festzustellen, dass Jocelyn ihn offenbar gerade etwas gefragt hatte. Alle Augen waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet.
»‘tschuldigung«, murmelte er. »Ich war nicht ganz … was hast du gesagt?«
Jocelyn lächelte geduldig. »Clary hat mir erzählt, ihr habt ein neues Bandmitglied?«
Simon wusste, dass sie nur höflich zu sein versuchte. Höflich auf eine Weise wie die meisten Eltern, wenn sie vorgaben, sich für das Hobby der Freunde ihrer Kinder zu interessieren. Andererseits war Clarys Mutter schon zu mehreren Auftritten gekommen und hatte geholfen, den Saal voller erscheinen zu lassen. Sie mochte ihn wirklich, hatte ihn schon immer gut leiden können. Ganz tief in ihm drin vermutete Simon, dass sie seit jeher gewusst hatte, was er für Clary empfand, und er fragte sich, ob sie sich vielleicht wünschte, ihre Tochter hätte sich anders entschieden. Er wusste, dass sie Jace nicht sonderlich ins Herz geschlossen hatte — das konnte man schon an der Art und Weise erkennen, wie sie seinen Namen
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