Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
unglaublichen Zufall gelangte eine der Platten in meine Hände.«
»Vielleicht war es Glück, vielleicht aber auch Schicksal«, sagte Boswell leise. »Um ehrlich zu sein, ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Ich habe nicht geglaubt, dass ich jemals wieder den freien Himmel sehen würde.«
Er beugte sich über die Brüstung und ließ sein Haar im Wind flattern.
»Von was wurden Sie eigentlich angegriffen?«, fragte Oskar. »Yupan erwähnte einen Namen. Ich glaube, er sagte etwas von den Ukhu Pacha.«
»Die Unterirdischen, ja«, sagte Boswell. »Sie leben in Erdspalten und Höhlen ringsumher. Schreckliche Kreaturen. Sie machen den Hanaq Pacha das Leben zur Hölle. Ich hatte sie schon vorher beobachtet und habe später aus meinem Gefängnis heraus mehrere dieser Angriffe miterlebt. Furchtbar. Meist kommen sie im Schutz der Dämmerung.«
»Was sind das für Kreaturen?«, fragte Humboldt.
Boswell schüttelte sich. Die Antwort fiel ihm nicht leicht. »Sie sind riesig und von heller Farbe. Von oben betrachtet, sind sie von dem umliegenden Felsgestein kaum zu unterscheiden. Zähne wie ein Hai und Klauen wie von Wanderameisen, nur ungleich größer. Sie haben einen gewaltigen Hinterleib und lange Beine. Auf ihrem Rücken wachsen Pfeile, die sie nach Bedarf verschießen können. Ich habe so etwas während meiner gesamten Reisen noch nicht zu Gesicht bekommen.«
Humboldt warf seinen Mitstreitern einen betroffenen Blick zu. Sie alle wussten, wovon Boswell sprach.
Auf einmal hallte aus weiter Ferne ein Schuss zu ihnen herüber. Zwei weitere folgten ihm. Der Schall brach sich an den umliegenden Klippen. Er kam genau aus der Richtung, in die der Fotograf gedeutet hatte.
37
Max reichte Valkrys die Hand, als diese sich stöhnend erhob. Der Kampf hatte Spuren hinterlassen. Dort, wo die Beißwerkzeuge des Insekts ihre Hose durchdrungen hatten, zog sich eine Wunde über ihr Bein, die dringend ärztlicher Versorgung bedurfte. Beim Aufprall gegen die Felswand schien sie sich eine Verstauchung zugezogen zu haben. Sie hielt die Schulter schief und vermied schnelle Bewegungen. Max konnte nur hoffen, dass es nichts Ernstes war. Ohne Valkrys würde er keine zwei Tage in dieser feindlichen Umgebung überleben.
Eines jedoch hatte sich verbessert. Seit er sie aus dem Abgrund gezogen hatte, war sie merklich freundlicher geworden. Sie war zwar immer noch kein Ausbund an Herzlichkeit, aber wenigstens hatte sie damit aufgehört, ihn pausenlos herumzukommandieren. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«, fragte er deshalb, als er sah, wie sie humpelte. »Ihnen die Taschen abnehmen oder so?«
Sie drehte sich um und blickte ihn für einen Moment mit ihren smaragdgrünen Augen an. Dann nickte sie. »Sie entwickeln sich ja noch zu einem richtigen Kavalier, Pepper.« Sie löste ihre Tasche von der Schulter und warf sie zu ihm rüber.
Er fing den Rucksack aus der Luft und hängte ihn sich über den Rücken. »Das müsste Ihnen doch in San Francisco bereits aufgefallen sein. Als ich Ihnen die Haut retten wollte.«
Ein schmales Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Da kannten Sie mich ja noch nicht.«
In diesem Moment ertönte von der anderen Seite der Schlucht ein lang gezogenes Hornsignal. Es wurde lauter und hallte in mannigfaltigen Echos von den Steilwänden wider. Max entfernte die Gummikappen von seinem Fernglas und blickte hindurch.
Es dauerte keine zwei Sekunden, da hatte er sie entdeckt.
»Sie kommen!«, sagte er und deutete auf zwei Segel, die sich mit großer Geschwindigkeit näherten. Beide waren etwa gleich groß und mit unterschiedlichen Farbmarkierungen versehen.
»Sie müssen die Schüsse gehört haben. Was machen wir jetzt?«
Valkrys senkte ihr eigenes Glas. »Uns verstecken, was sonst? Kommen Sie. Ab ins Unterholz!«
Sie fanden eine Stelle unter dem schützenden Dach einer Akazie, der ein mächtiger Felsen vorgelagert war. Aus dieser Position heraus konnten sie beobachten, wie die beiden Schiffe rasch näher kamen. Die Stelle, an der Valkrys mit dem Rieseninsekt gekämpft hatte, war ihr erstes Ziel. Als sie nur noch etwa hundert Meter von der Felswand entfernt waren, teilten sie sich auf. Das eine Gefährt flog in östlicher Richtung davon, während das andere genau auf sie zuhielt. Max konnte erkennen, dass es ein schlanker, feingliedriger Bootskörper mit weit ausladenden Trägern war, an denen durchscheinende Seitenleitwerke befestigt waren. An einer aus Seilen und filigranen Streben bestehenden
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