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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Gesichter, die die Weisheit und Schönheit einer ganzen Hochkultur widerspiegelten. Die meisten Bewohner waren geschminkt oder hatten sich mit bunten Farben bemalt. Ihre Kleidung entsprach der Tradition der südamerikanischen Indios. Weite Gewänder aus Leinen oder Baumwolle, kunstvoll verwoben und mit farbigen Streifen und Applikationen versehen. Auf ihren Köpfen waren Federn, manche hatten sogar ganze Schwingen auf dem Rücken befestigt. Der Vogel schien das vorherrschende Symbol dieser Kultur zu sein. Kein Wunder bei einem Volk, das seine Stadt wie ein Nest in die Steilwand gebaut hatte.
    Humboldt ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Es hatte fast den Anschein, als habe sich ihnen zu Ehren die ganze Stadt versammelt. Die Kunde von den Fremden musste sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Von überall her waren sie gekommen und immer noch strömten neue hinzu: Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche, reich gekleidete Adelige sowie Handwerker, Bauern, Tagelöhner und Krieger. Eine unübersehbare Menschenmenge, die sich vom einen Ende des Platzes zum anderen erstreckte. Es war bemerkenswert, wie klein die Menschen waren. Kaum einer von ihnen reichte ihm bis zum Kinn. Die meisten hatten die Größe zwölfjähriger Kinder. Still und ehrfürchtig warteten sie und formten eine Gasse, als der Priester über den Platz schritt.
    Als Humboldt seine Augen auf die weiter entfernten Gebäude richtete, vergaß er vor Verwunderung beinahe zu atmen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr der Ausdruck Wolkenstadt zutraf. Es gab Dutzende weitere Plattformen, die, auf Stützpfeilern ruhend, mitten in die senkrechte Felswand hineingebaut worden waren. Unzählige Streben hielten die Konstruktionen in der Schwebe, während ein Gewebe dicker Halteseile sie vor dem Absturz bewahrte. Die große Tempelhalle war das Zentrum eines weit gespannten Netzwerkes von Gebäuden, Plätzen, Tempeln und Gärten, die durch ein kompliziertes Geflecht unterschiedlicher Wege miteinander verbunden waren. Es gab schmale Stege, die über schwindelerregende Abgründe führten, breite Prachtstraßen, Leitern, Brücken und Seilbahnen. Dazwischen ragten goldfarbene Kuppeln in die Höhe, spitzkegelige Türme und Dächer, die mit blau glasierten Kacheln gedeckt waren. Reliefartige Pyramiden waren in die Felswand hineingeschlagen worden, die in ihrer Form und Anmutung durchaus mit der Sonnenpyramide von Huaca del Sol und dem Tempel des Quetzalcoatl bei Cholula mithalten konnten. Breite Prachttreppen führten zu ihnen empor und endeten in Eingängen, die in unbekannte Tiefen führten. Das senkrechte Plateau war im unteren Bereich in natürliche Terrassen untergliedert. Oberhalb der immerwährenden Wolkenschicht breiteten sich Ebenen aus, auf denen intensive Landwirtschaft betrieben wurde. Reisfelder, Maniok- und Zuckerrohrplantagen, Kaffee- und Teepflanzungen. Dazwischen immer wieder Obstbäume. Orangen, Zitronen und Bananen. Große Wasserreservoirs sicherten die Bewässerung, während ein System aus Pumpen, Kanälen und Rohrleitungen das kostbare Nass an jeden nur erdenklichen Ort transportierte. Am faszinierendsten aber waren die Fluggeräte. Dutzende von ihnen bevölkerten den Himmel. Einige waren klein, manche groß. Viele wurden von nur einer einzigen Person geflogen, während in anderen bequem mehrere Leute Platz fanden. Keines ähnelte dem anderen. Es gab Luftfahrzeuge, die den Samen des Löwenzahns nachempfunden waren, dann wiederum gab es libellenartige Flitzer mit Steuerrudern aus durchscheinendem Papier, Ballons mit dicken Gondeln und etwas, das wie eine fliegende Zigarre aussah und an dessen Heck sich windmühlenartige Flügel drehten. Es gab Geräte, die Vögeln glichen, andere wiederum sahen wie Insekten aus, die meisten aber folgten überhaupt keinem Vorbild, sondern waren einfach nur Produkte der menschlichen Fantasie.
    Humboldt konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Schöneres gesehen zu haben. »Xi’mal«, flüsterte er. »Die verloren geglaubte Stadt der Inka. Ich wusste es.«
    Er ging zum Rand der Aussichtsplattform. Von hier aus war der Blick noch atemberaubender. Es hatte fast den Anschein, als brauchte man nur die Arme auszubreiten, um sich in die Lüfte zu erheben.
    »Sie wussten es?«
    Oskars Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
    »Hm? Was hast du gesagt, mein junger Freund?«
    »Sie sagten, Sie wüssten es. Was haben Sie damit gemeint?« Die Augen des Jungen glänzten wie Münzen.
    »Ich musste gerade an die Geschichte

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