Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
mir wieder durch die Lappen geht.«
    »Warum sollte er das tun?«
    »Er ist schrecklich in Eile«, erläuterte Humboldt. »Er liefert sich gerade mit Thomas Edison einen erbitterten Kampf um die Rechte an der Elektrizität. In den Fachkreisen ist dieser Konflikt als Stromkrieg bekannt. Es geht um die Zukunft der Starkstromversorgung und die Frage, ob diese im Gleichstrom oder im Wechselstrom liegt. Tesla ist der Erfinder des Wechselstromgenerators. Euch ist vielleicht bekannt, dass in Chicago gerade die Weltausstellung stattfindet, die sogenannte Kolumbus-Ausstellung, benannt nach dem vierhundertjährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Es ist die erste Weltausstellung, die ausschließlich mit elektrischem Licht beleuchtet wird. Hunderttausend Glühlampen sind dort installiert und verwandeln das Messegelände in eine Stadt des Lichts. Tja, meine Lieben, das ist die Arbeit von Nikola Tesla und der Westinghouse Electric Company.«
    »Und was macht er hier?«
    »Er installiert einen Blitzableiter. Tesla will Blitze einfangen und versuchen, sie als Energiequelle nutzbar zu machen.«
    Oskar hob die Brauen. »Ist das nicht sehr gefährlich?«
    »Gefährlich ist gar kein Ausdruck! Weißt du, wie viel Energie ein solcher Blitz liefert?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wir reden hier von Spannungen bis zehn Millionen Volt und einer Stromstärke von weit über zehntausend Ampere. Die enorme Erhitzung bei der Entladung eines Blitzes dehnt die Luft explosionsartig aus. Eine Druckwelle entsteht, die wir in Folge als Donner hören.«
    Charlotte neigte den Kopf. »Und warum ausgerechnet Paris? Er hätte das Experiment doch auch drüben in den Staaten abhalten können.«
    Humboldt schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebe. Das Experiment kann nur hier in Paris durchgeführt werden. Der Grund ist, dass hier ein Gebäude steht, wie es in der Welt einmalig ist. Wenn ihr es sehen wollt, dreht euch doch mal um.«
    Die Kutsche fuhr gerade über eine der vielen Brücken, die die Seine überspannten. Hinter einer Reihe von Platanen und uferseitigen Gebäuden stand ein Turm, der sich wie ein stählernes Werkzeug in den Himmel schraubte. Oskar blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Jetzt wusste er, wo Tesla sich aufhielt.

 
14
     
     
    Charlotte beschirmte ihre Augen mit der Hand. Über ihnen ragte das seltsamste Gebäude auf, das sie jemals gesehen hatte. Natürlich war es ihr schon aus der Ferne aufgefallen, aber es war noch mal etwas ganz anderes, wenn man ihm so nahe gegenüberstand.
    Der Eiffelturm war vor vier Jahren anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der französischen Revolution erbaut worden. Dreitausend Arbeiter hatten in nur sechsundzwanzig Monaten achtzehntausend vorgefertigte Eisenteile und zweieinhalb Millionen Nieten zu einem Turm von dreihundert Metern Höhe und zehntausend Tonnen Gewicht zusammengefügt. Es gab immer noch große Teile der Pariser Bevölkerung, die ihn für einen Schandfleck hielten. Empörte Künstler empfanden den düsteren Fabrikschornstein, wie sie ihn nannten, als Entehrung der Stadt und plädierten dafür, dass er umgehend wieder verschwinden sollte. Tatsächlich sahen die Pläne der Stadtverwaltung vor, den Turm in fünfzehn Jahren wieder abzureißen. Charlotte konnte das nicht verstehen. Der Eiffelturm war nicht nur das höchste Gebäude der Welt, sondern auch eine fabelhafte Konstruktion, die – ebenso kühn wie effizient – an ein mathematisches Wunder grenzte. Charlotte kannte kein Bauwerk, das den Charakter des kommenden Jahrhunderts besser widerspiegelte als der Eiffelturm.
    Die Kutsche hielt an der Ostflanke des Turms. Im Hintergrund konnte man die französische Militärschule sehen, an der schon Napoleon Bonaparte studiert hatte.
    »Meine Freunde, wir sind da.« Humboldt half ihnen beim Aussteigen. Er wechselte ein paar Worte mit dem Kutscher, dann steuerte er auf den Nordpfeiler der gewaltigen Konstruktion zu. Charlotte schnappte die Umhängetasche, in der Wilma schlief, und eilte hinter ihm her.
    »Wir müssen auf die oberste Plattform.« Humboldt deutete senkrecht nach oben. »Es gibt einen Aufzug, der zur zweiten Ebene führt. Dort müssen wir umsteigen. Unser Ziel liegt in dreihundert Metern Höhe. Ich hoffe, ihr seid alle schwindelfrei.«
    Charlotte blickte nach oben und schauderte. Dreihundert Meter. Wie lange man da wohl brauchte, um im freien Fall unten anzukommen? Sie schüttelte den Gedanken ab und hängte sich an Oskar, der mit schnellen Schritten

Weitere Kostenlose Bücher