Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
jemals ein richtiger König werden wird.«
»Wie Ihr meint, Vater.« Dimals Blick drückte nichts als Verachtung aus.
Bhamban seufzte. »Freut es dich, dass sie entkommen sind?«
Schweigen.
»Das dachte ich mir. Nun, dann bist du vielleicht glücklich, wenn ich dir erzähle, dass ich von ihnen geträumt habe.«
Dimal riss die Augen auf. Die erste Reaktion, seit er den Thronsaal betreten hatte. »Wirklich?«
»Du weißt, dass ich das zweite Gesicht habe«, sagte Bhamban. »Meine Träume sind wie Fenster in eine andere Welt. Das war schon als Kind so. Ich konnte Dinge sehen, die andere nicht sahen. Dinge, die auch tatsächlich eintraten. Diese Gabe war ein Segen und ein Fluch zugleich. Diesmal könnte sie sich als Fluch herausstellen, denn in meinen Träumen waren Humboldt und seine Freunde am Leben.«
»Wo … wo waren sie?«
»In der Unterwelt. Dort, wo alles Übel seinen Ursprung hat. Sie machten gemeinsame Sache mit unserem Feind.«
» Mit Poortvliet?«
»Nein, du Idiot, ich spreche von den Steinernen.« Er sandte seinem Sohn einen warnenden Blick zu. »Was hattest du mit Humboldt an der Schatzkammer zu schaffen?«
Dimal hob erstaunt die Brauen. »Die Schatzkammer? Aber Ihr sagtet doch, ich solle ihnen den Palast zeigen.«
»Ja, ich sprach von den Bädern, den Gärten und dem Tempelbezirk. Nicht von dem verbotenen Bezirk.«
»Das wusste ich nicht. Bitte verzeiht …«
Bhamban wischte sich über die Stirn. Es war zum Verzweifeln mit diesem Jungen. Dabei war er gar nicht auf den Kopf gefallen. Vielleicht hätte er sich einfach mehr um seine Erziehung kümmern müssen. Der Einfluss der Frauen, später die internationale Schule, das hatte den Jungen verdorben. Ob er ihn jetzt noch in die Geheimnisse seiner Familie einweihen konnte, das war schwer einzuschätzen. Der Junge hasste ihn, das spürte er. Wer konnte schon ahnen, was geschehen würde, wenn er ihm erst von seiner Vergangenheit erzählte?
Ein Schrei und aufgeregtes Klopfen unterbrachen seinen Gedankengang. Die Tür wurde aufgestoßen und herein stolperte der Hofmarschall in Begleitung seines Dieners und einiger Palastwachen.
Bhamban richtete sich auf. »Wer hat dir erlaubt, hier einfach unangemeldet hereinzuplatzen? Ich könnte dir den Kopf abschlagen lassen.«
Der Hofmarschall fiel zu Boden und breitete die Arme in einer Geste der Unterwürfigkeit aus. »Gnade, Herr. Aber in Eurem Palast spielen sich seltsame Dinge ab. Fremde sind eingedrungen. Sie befinden sich auf dem Palastgelände.«
»Wo genau?«
»Bei der alten Schatzkammer.«
Bhamban fuhr aus seinem Thron. »Was sagst du da?«
»Bei der …«
»Du brauchst es nicht zu wiederholen, ich bin nicht taub, du Idiot.« Er warf Dimal einen finsteren Blick zu. »Wie viele sind es? Wie sind sie hereingekommen?«
»Keine Ahnung, Herr. Wir sahen Fackeln und dachten, Ihr wolltet vielleicht sofort unterrichtet werden.«
Ohne eine weitere Bemerkung eilte Bhamban aus dem Thronsaal und die Treppenstufen hinauf, die zur Terrasse führten. Bei seinem Leibesumfang, den rutschigen Schlappen und dem unbequemen Gewand musste er aufpassen, dass er nicht stolperte. Doch die Unruhe trieb ihn voran. Humboldts Flucht, sein Traum, das Beben und jetzt diese Nachricht – es passte alles zusammen. Schweißgebadet stolperte er hinaus in die frische Nachtluft. Der Mond war von einem roten und dunstigen Hof umgeben. Das Gewitter war jetzt deutlich näher. Der kühle Wind legte sich wie ein Leichentuch über seine Haut. Blitze zuckten und von Westen drang bereits erstes Donnern an seine Ohren.
Zwischen den beiden Shiva-Tempeln waren Feuer zu sehen. Schatten huschten umher. Irgendjemand machte sich an der Schatzkammer zu schaffen. Bhamban wandte sich um. Der Hofmarschall stand direkt hinter ihm. »Wie lauten Eure Befehle, Herr?«
Bhambans Gesichtsmuskeln arbeiteten unter seiner Haut.
»Alarmiert die Palastwachen«, sagte er. »Und zwar jeden einzelnen Mann.«
49
»So, und was tun wir jetzt?«
Lilienkron hatte seine Vorbereitungen beendet und blickte Humboldt erwartungsvoll an. Der Platz rund um den Tempel war mit Fackeln gesäumt, die im aufkommenden Wind unheilvoll flackerten.
»Warten«, sagte Humboldt. »Bis Mitternacht haben wir noch ein paar Minuten. Bis dahin können wir nichts mehr tun.«
»Hoffen wir, dass das Wetter mitspielt.« Charlotte blickte skeptisch in die Höhe. Das Gewitter war nun schon sehr nahe.
Auch Oskar war unruhig. Die Situation war so gar nicht nach seinem Geschmack.
Weitere Kostenlose Bücher