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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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starb.
    Die feurige Erscheinung hatte Billy trotz des chemisch erzeugten Mutes, der von der Rüstung in seine Adern gepumpt wurde, in Panik versetzt. So etwas wie das Zeitgespenst hatte er noch nie gesehen, und Billy spürte irgendwie – er konnte nicht sagen, weshalb –, dass sein Interesse an ihm ganz persönlicher Natur war. Vielleicht wusste es, was er getan hatte. Vielleicht wusste es, dass er keinen angestammten Platz in diesem Labyrinth der Zeit hatte; dass er ein Deserteur, ein Verbrecher, ein Flüchtling war.
    Das Monster war erschienen, als er das Ende des Tunnels erreicht hatte, und Billy spürte seine Hitze und die Schwingungen seiner Feindseligkeit. Und er war weggelaufen, war voller Entsetzen durch die Ausgangsöffnung zu diesem Ort geflohen, einem sicheren Ort, zu dem das Monster ihm nicht folgen konnte – jedenfalls hatte Ann Heath es ihm so geschildert.
    Trotzdem hatte Billy noch immer Angst.
    Er hatte eine vage Idee, wo er sich befand. In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. An irgendeinem Punkt in einer Stadt. Er hatte den Wächter dieses Ortes getötet, und ein paar weitere elektromagnetische Stöße würden sämtliche kybernetischen Helfer entfernen. Aber Billy kauerte in der Ecke eines nur schwach erleuchteten Kellers – im Gestank von zusammengebackenem Gips und Klinkersteinen und im feinen grauen Staub aus dem beschädigten Tunnel –, und er begriff, dass sein Exil endgültig und ewig war.
    Er drosselte die Energie seiner Rüstung und nahm eine persönliche Inventur vor.
    Dinge, vor denen er weggelaufen war:
    Die Infanterie.
    Die Sturmzone.
    Mord.
    Die Frau Ann Heath mit einem Glaskeil im Kopf und einer Röhre in ihrer Brust.
    Dinge, die er zurückgelassen hatte:
    Ohio.
    Seinen Vater Nathan.
    Eine Stadt namens Oasis.
    Meilenweit Kohl und grünen Weizen und einen Himmel, der völlig leer war bis auf Hitze und Staub.
    Dinge, die er nicht hatte zurücklassen können:
    Seine Rüstung.
    Und, so erkannte Billy, diesen Ort. Dieses Gebäude, was immer es war. Diesen Tunneleingang, den er verschlossen hatte, dem er aber nicht trauen konnte: Weil er Monster enthielt, weil er die Zukunft barg.
    Was damals wie eine Inspiration erschienen war, diese fieberhafte Flucht in die Vergangenheit, bereitete ihm nun Sorgen. Er hatte an Mechanismen herumgespielt, die er nicht begriff, die mächtiger waren, als er es sich vorstellen konnte. Diese Begegnung mit dem Zeitgespenst war schon schlimm genug gewesen. Wen sonst hatte er außerdem noch verärgert? Es gab so viel, was Billy nicht verstand. Er glaubte, dass er hier sicher wäre ... aber der Glaube enthielt Zweifel.
    Aber du bist hier. Das ist eine klare Tatsache. Er war hier und würde hierbleiben. Wenigstens keine Infanterie, keine Sturmzone. Ein Ort fern von all dem. Nicht Ohio mit seinen Wüsten und Kanälen und dem Wunder der Ernte, aber wenigstens ein sicherer Ort.
    Eine Stadt in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts.
    In dieser Nacht, seiner ersten Nacht in der Stadt New York, entkleidete Billy den Körper des Zeitreisenden und benutzte einen Fächerstrahl, um die Leiche in ein Häufchen feiner weißer Asche zu verwandeln.
    Die Kleider waren blutbesudelt und passten nicht richtig, aber sie gestatteten es Billy, sich unauffällig in der Öffentlichkeit zu bewegen. Er erforschte die Korridore des Mietshauses über dem Keller, in dem sich der Tunnel befand. Er sah sich in den benachbarten Straßen der nächtlichen Stadt um. Er schloss aus dem Brieftascheninhalt des toten Mannes, dass der Zeitreisende ein »Apartment« in diesem Gebäude bewohnt hatte. Billy fand den Eingang, eine nummerierte Tür unter vielen, und stocherte mit Schlüsseln in dem primitiven Schloss herum, bis die Tür aufsprang.
    Er schlief im Bett des toten Mannes. Er suchte sich frische Kleider zusammen. Er betrachtete staunend den Kalender des toten Mannes: 1952.
    Er fand Bargeld in der Brieftasche des Toten und noch mehr Geld in einer Schreibtischschublade. Billy wusste, was Bargeld war. Es war ein archaisches Zahlungsmittel, universell und austauschbar. Die Wertbezeichnungen waren verwirrend, aber im Prinzip einfach: zum Beispiel war eine Zehndollarnote zwei »Fünfer« wert.
    Er blieb für eine Woche in dem Apartment. Zweimal klopfte jemand an die Tür. Aber Billy verhielt sich still und reagierte nicht. Abends sah er sich das Fernsehprogramm an. Er nahm regelmäßige Mahlzeiten ein, bis nichts mehr im Kühlschrank zu finden war. Er saß am Fenster und betrachtete die Leute,

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