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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Sprössling ein Studium zu finanzieren, und so blieb Papa Bronstein schließlich nur die Laufbahn als B-Beamter, die unglamourös im Range eines Amtsdirektors stecken blieb. 1906 hatte der Vater die 40 Dienstjahre erreicht, die zum Übertritt in den Ruhestand ausreichend waren, doch er hielt nichts davon, ein Pensionärsdasein zu fristen, und so diente er freiwillig länger, am Ende freilich wieder als Diurnist, wo er tageweise Akten abmalte. Mit besonderer Bitterkeit dachte Bronstein an jene Tage. Sein Vater hatte immer behauptet, er halte es zu Hause nicht aus, er müsse etwas tun, sonst falle ihm die Decke auf den Kopf, doch Bronstein wusste es besser. Der Vater verdiente sich Geld zur Pension dazu, damit er dem Sohn das Jusstudium finanzieren konnte. Er wollte, dass es sein Sohn besser hatte als er, dass sein Sohn im Gegensatz zu ihm Karriere machen konnte. Und dafür schämte sich Bronstein junior immer noch. Es war nicht recht, einen Mann von mehr als 60 Jahren noch arbeiten zu lassen. Dieser hatte ohnehin zwei Drittel seines Lebens damit zugebracht, sich für andere krumm zu machen, da besaß man jedes Recht, die paar Jahre, die einem noch blieben, zu genießen. Mit Schrecken dachte Bronstein an die Arbeiterschaft, die man ohne jede soziale Versorgung rackern ließ. Da hatte der Kaiser für seine Beamten schon besser gesorgt. Denen war das Recht auf ein Alter in Würde gesetzlich gesichert. Die Pension war nicht gerade üppig, aber sie reichte in der Regel. Und mit 60 hatte man statistisch noch gut zehn Jahre vor sich, in denen man diesen Ruhestand auch genießenkonnte, da hatte eine Pensionsregelung Sinn. Würde man noch länger tätig sein müssen, dann war man hinfällig und siech, und alles Geld der Welt würde einem nicht mehr zu einem akzeptablen Leben verhelfen können. Und genau darum war es so traurig, dass sich der Vater für ihn aufgeopfert hatte. Denn auf diese Weise hatte er sich selbst um einen schönen Lebensabend gebracht. Dabei hatte er dem Vater noch zugeredet, er solle es endlich sein lassen. Nach seiner Promotion im November 1907 hatte er dem Vater immer wieder gesagt, er könne jetzt auf eigenen Beinen stehen und bedürfe der väterlichen Hilfe nicht mehr, doch der Herr Papa bildete sich ein, ein Doktor der Rechte brauche eine standesgemäße Wohnung und müsse eine ebenso standesgemäße Bindung eingehen, was beides entsprechende Mittel erfordere. Bronstein hatte versucht, den väterlichen Elan zu unterlaufen, indem er sich in Dornbach selbst eine Wohnung gesucht und diese auch bezogen hatte. Doch der Vater war so besessen von der Idee, dem Sohn ein ordentliches Erbe anzusparen, dass er sich erst mit 65 endgültig überreden ließ, seinen Abschied zu nehmen.
    Und wieder hatte das Schicksal dabei Regie gespielt. Bronstein selbst war damals gerade dabei, seinen ersten großen Fall zu lösen, und just an jenem Tag, da Vater Bronstein im Ministerium mit einem Orden und einer goldenen Uhr verabschiedet wurde, platzte der Fall Redl, über den auch bei diesem Anlass mehr geredet wurde als über des Vaters Wirken im Dienste der Monarchie. Und so war dem alten Herrn gerade ein Jahr in Ruhe gegönnt gewesen, ehe der große Krieg über das Land hereinbrach und alles Leben von Grund auf veränderte. Der Vater vertraute dem Staat und der Armee, und so zeichnete er eifrig Kriegsanleihen. Die jetzt, vier Jahre später, kaum noch das Papier wert waren, auf dem sie gedruckt waren. Was alle in der Familie schon lange wussten, nahm der Vater partout nicht zur Kenntnis: Er war ruiniert! Bankrott! Die ganze Existenzdahin! Was ein Leben lang schwer erarbeitet worden war, das hatten windige Spekulanten über Nacht in Luft aufgelöst. Und bestraft wurden nur die Patrioten, die an dieses Österreich geglaubt hatten, während jene Zyniker, die schon 1914 keinen Heller auf dieses Land gesetzt hatten, jetzt ohne jeden Verlust aus dem Krieg hervorgehen würden. Es war einfach eine Schande, wie übel das Leben einem so aufrechten Mann wie seinem Vater mitgespielt hatte. Und dass der nun auch noch miterleben musste, wie jener Staat, dem er 47 Jahre seines Lebens geopfert hatte, einfach in seine Bestandteile zerfiel, das wäre wohl selbst für einen Titanen zu viel der Prüfung.
    Umso größer war Bronsteins Sorge hinsichtlich der Erkrankung des Vaters. Angesichts solcher Entwicklungen wurde man leicht seines Lebens überdrüssig, und wenn man sich gegen eine Krankheit nicht wehrte, dann trat nur allzu schnell das

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