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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Schlimmste ein. Umso wichtiger war es nun, dem Vater Mut zuzusprechen. Warum kam da, verdammt noch einmal, keine Straßenbahn daher?
    Bronstein war immer weitergegangen. Vom Rathaus zum Parlament, vom Parlament zu den Museen, von den Museen zur Oper. Schließlich trennten ihn nur noch wenige hundert Meter von der elterlichen Wohnung, und so legte er auch diese zu Fuß zurück. Es war knapp vor zehn Uhr morgens, als er an die Wohnungstür klopfte. „Ja, Herr Doktor, ich komm schon“, hörte er die Mutter rufen, die offensichtlich mit dem Arzt rechnete. „Ich bin es, Mutter“, rief er daher durch die geschlossene Tür.
    „David?“ Verwundert öffnete die Mutter die Pforte. „Was machst denn du da?“
    „Mein Mitarbeiter hat mir leider erst vor einer Stunde gesagt, dass du gestern angerufen hast, und da wollte ich sofort nach dem Rechten sehen. Wie geht’s ihm denn, dem Herrn Papa?“
    Jetzt erst verlor die Mutter die Beherrschung. Sie begann zu schluchzen: „Gar nicht gut geht’s ihm, gar nicht gut. Mein Bub, ich hab ja solche Angst um ihn.“
    Unwillkürlich hatte sie ihren Sohn umarmt, was dieser als ein wenig unangenehm empfand, angesichts der Situation aber kommentarlos akzeptierte. Da sie ihn aber nicht und nicht ausließ, meinte er schließlich: „Willst mich nicht reinlassen, Mama?“
    Die Mutter ließ los, wischte sich eine Träne aus dem Auge und sagte: „Aber natürlich, was bin ich nur für ein Dummerchen! Komm herein! Magst was trinken? Einen Kaffee hab ich leider nicht, nur Ziguri. Aber ein Kakao wär noch da, wenn du so etwas trinkst. Oder magst ein Glaserl Wein?“
    „Dafür ist es wohl noch etwas zu früh, Mama. Und danke, ich brauche nichts. Ich will nur wissen, wie’s dem Herrn Papa geht. Kann ich zu ihm?“
    „Du, ich weiß gar nicht. Ich glaub, er schlaft grad. Schau’n wir mal.“
    Gemeinsam gingen sie in das elterliche Schlafzimmer, das die Mutter aus Rücksicht auf den Zustand des Vaters abgedunkelt hatte. Tatsächlich schlief der alte Herr Bronstein, doch sein rasselnder Atem stimmte alles andere als optimistisch. Instinktiv überlegte Bronstein, wie man sich in einer solchen Situation richtig verhielt. Sollte man den Raum lüften, oder würde die Novemberkälte die Krankheit verschlimmern? Jedenfalls sollte regelmäßig die Bettwäsche gewechselt werden. Und das Nachtgewand des Vaters dito. „Hast du genug Zutaten, um eine Hühnerbrühe zu kochen?“, fragte er seine Mutter, „wenn nicht, könnte ich etwas besorgen. Außerdem solltest du ihm viel Tee einflößen, Mama.“
    „Das hat der Doktor auch schon gesagt. Kräuter habe ich genug zu Hause, aber treib in diesen Tagen einmal ein Huhn auf“, seufzte die Mutter, um sodann fortzufahren: „Aber ammeisten Sorge bereitet mir das Fieber. Gestern Abend waren es fast 40.“
    „Mach dir keine Sorgen, Mama, das Hendl treib ich dir auf. Sorg nur dafür, dass er ordentlich schwitzt und dass regelmäßig Gewand und Bettzeug gewechselt wird. Er muss die Krankheit aus sich herausschwitzen, aber die Keime dürfen nicht um ihn bleiben. Und wenn du die Sachen wäschst, dann koch sie aus.“
    Die Mutter stemmte die Arme in die Hüften: „Ach, simma jetzt Doktor med. oder was? Ich hab dich durch alle Kinderkrankheiten gebracht, die man nur haben kann, vom Mumps bis zu die Röteln, erzähl du mir nicht, wie man sich um einen Kranken kümmert. Wenn nur nicht so ein Mangel wär! Wir haben ja nicht einmal genug Holz zum Einheizen.“
    „Weißt was, Mama, das nehm jetzt ich in die Hand. Ich komm heute Abend wieder vorbei und bring dir ein Hendl und genug Holz für die nächsten paar Tage. Und dann schau’n wir weiter, in Ordnung?“
    Die Mutter, nun wieder von Sorge überwältigt, nickte schwach. Bronstein drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und wandte sich wieder der Wohnungstür zu. „Es ist besser, wir lassen ihn schlafen. Vielleicht ist er ja am Abend munter. Bis dann, Mama.“
    Noch im Stiegenhaus gestand sich Bronstein ein, dass der Zustand seines Vaters in der Tat beunruhigend war. Gegen eine solche Grippe gab es keine wirksamen Medikamente, da war man schon in guten Zeiten in Gottes Hand. Und dann erst in solch katastrophalen Tagen wie jenen, welche die Monarchie gerade durchlebte! Bronstein wusste, dass die Grippe in Wien zu einer richtigen Epidemie geworden war, der schon tausende Bürger erlegen waren. Die Krankheit machte selbst vor Berühmtheiten nicht Halt. Erst vorige Woche war Schiele samt seiner Gefährtin daran

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