Ciara
sprich!«
»Du weißt, Arawn, ich bin ein Kämpfer. Ich halte nichts davon, lange zu warten oder Kompromisse einzugehen. Es gibt nur einen Weg.« Er stellte sich neben den Herrscher von Anderwelt, drehte sich zu der Menge um und donnerte mit erhobener Faust: »Und das ist ihr Tod!«
Stummes Entsetzen legte sich über die Köpfe der Bewohner von Annwn.
»Nein!« Die Stimme einer Frau verdrängte die Furcht. Hoffnung zeigte sich auf den Gesichtern, manche der Anwesenden strichen sich mit den Händen über ihre Wangen, andere lächelten erleichtert. Alle aber drehten sich zu der Frau um, die sich einen Weg durch die Menge auf die beiden Männer zu bahnte, und begleiteten sie mit neugierigen Blicken.
Der spöttische Ausdruck in Pwylls Augen musste sich durch die Kleidung hindurch bis auf ihre Haut brennen, aber sie ignorierte ihn und hielt sich an den Herrscher von Anderwelt.
Als die Frau zu sprechen begann, zuckte Ciara erschrocken zusammen. Sie wandte sich nach rechts, dorthin, wo ihre Mutter zuvor gestanden hatte. Der Platz war leer.
»Ihren Tod werde ich niemals zulassen. Wenn sie stirbt, sind wir alle verloren!« Sie wirbelte mit solchem Schwung zu der lauschenden Menge herum, dass die schwarze Kapuze des gleichfarbigen Capes von ihrem Kopf rutschte und die darunter verborgenen langen, roten Haare die Luft durchteilten. »Das muss euch doch bewusst sein. Nur sie hält uns am Leben.«
Sie drehte sich zu Arawn, dann zu Pwyll und schließlich wieder zum Volk der Anderwelt.
»Wir wissen, dass du diese Alternative nicht billigst«, erklärte Arawn.
»Natürlich nicht. Morgane hält sich für etwas Besonderes«, mischte sich Pwyll ein. »Und ihr Balg erst recht.«
Morgane trat auf Pwyll zu. Ihre Nasenspitze berührte beinahe seine Brust. Sie schaute zu ihm auf. Falls sie Furcht vor dem muskulösen Krieger verspürte, versteckte sie diese gekonnt. Pwylls blassgrüne Augen wanderten unruhig über die Menschenmenge.
»Solltest du das Erbe verändert haben, nimm dich vor der Rache der Götter in Acht, die ich persönlich anführen werde, um dich bei lebendigem Leib zu zerreißen«, verkündete Morgane.
Pwylls Pupillen weiteten sich, die blasse Haut verfärbte sich aschgrau, seine Glatze glänzte feucht und die Halsschlagader pulsierte sichtbar. Mit einer abwehrenden Handbewegung wies er die Drohung von sich. Morgane wandte sich nun abermals an die lauschende Menge: »Sie ist stark, sie wird das Böse besiegen und den Weg zu sich selbst finden. Falls sie getötet wird, sind wir alle verloren. Niemand von uns darf das zulassen! Wir müssen sie beschützen und ihr Schicksal mit all der uns zur Verfügung stehenden Kraft in den behütenden Schoß der Göttin legen. Helft mir dabei!«
Die Anwesenden stimmten Morgane mit Applaus zu. Nur Pwyll und Arawn reihten sich nicht in den Begeisterungssturm ein.
Ciara spürte eine unsichtbare Hand, die sie von diesem Ort fortzerrte. Sie riss den Mund zu einem Schrei auf, aber sie hörte ihre eigene Stimme nicht.
Die Versammlung entfernte sich von ihr, obwohl weder Ciara noch die anderen sich bewegten. Lediglich ihre Mutter schritt durch die erstarrte Menschenmenge auf einen Mann zu. Sie umarmte ihn; kurz bevor Ciara in die Höhe gerissen wurde, erkannte sie sein Gesicht. Verzweifelt strampelte sie mit den Beinen. Dann lähmte die Angst ihre Glieder.
Nach Luft schnappend erwachte sie, als sei sie aus den Tiefen eines Meeres aufgetaucht.
»Da sind Sie ja!« In Doktor Philis Stimme schwang Besorgnis.
Ciara öffnete die Augen, schloss sie jedoch sofort wieder, um ihre geweiteten Pupillen vor dem grellen Neonlicht abzuschirmen.
»Bring Frau Duchas bitte in einen abgedunkelten Raum«, wies der Arzt eine der Schwestern an und meinte zu Ciara: »Ich komme gleich zu Ihnen.«
Die Krankenschwester schob das Bett, auf dem Ciara lag, in ein Einzelzimmer, das über eine ähnlich karge Einrichtung verfügte wie der Raum, in dem sie am Vortag gelegen hatte.
Kümmerliche Strahlen der Mittagssonne erforschten den Weg durch die Ritzen der heruntergelassenen Rollos und erzeugten ein dämmriges Licht. Die Schwester stellte Ciara ein Glas Wasser auf den Nachttisch und verschwand. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür einen winzigen Spaltbreit, durch den sich Doktor Philis zwängte. Behutsam schloss er die Zimmertür. Genauso leise trug er den einzigen Stuhl, der in einer Ecke gestanden hatte, näher ans Bett heran und setzte sich.
Jetzt schlug Ciara die Augen auf und erkannte in der
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