Ciara
langsam; an den zerfetzten Rändern der Wunde an ihrem Hals mussten Tausende kleine Käfer nagen. Indem sie sich auf die Unterlippe biss, unterdrückte sie ein Stöhnen. Ciara klemmte den Kapillarfühler an ihrem linken Zeigefinger ab und zog das weiße Pflaster ab, das die Kanüle an ihrer Hand fixierte.
»Lassen Sie mich das machen.« Der Arzt zögerte. »Oder soll ich eine Schwester holen?«
Mit einem Knurren, das für ein so kleines Tier ungewöhnlich laut und bedrohlich klang, warnte ihn das Frettchen vor unüberlegten Bewegungen. Es verstummte erst, als Ciara sagte: »Machen Sie das, damit ich nicht noch länger warten muss.« Sie zuckte zusammen, als seine Hand ihre Haut streifte. Für einen Moment stoppte der Arzt. Er schaute Ciara an. In seinen Augen erkannte sie ehrliches Nachempfinden, was sie überraschte und berührte. Lange hielt der Arzt ihrem prüfenden Blick stand, dann räusperte er sich und zog die Kanüle. »Sie müssen mir noch bestätigen, dass Sie auf eigene Gefahr das Krankenhaus verlassen«, sagte Dr. Philis und ging zur Tür.
Ciara wartete, bis der Arzt den Raum verlassen hatte, schlug die Bettdecke zur Seite und setzte sich schwerfällig auf. Sie verweilte einige Atemzüge lang auf der Bettkante, bis die vor ihren Augen aufsteigende schwarze Wand, die sie einer Bewusstlosigkeit nahe brachte, einstürzte. Während Ciara darauf wartete, dass sich ihr Kreislauf stabilisierte, betrachtete sie das kleine schmucklose Zimmer, das mit dem Waschtisch, einem Stuhl, einem Nachttisch, einem Einbauschrank in der Ecke und dem Bett, auf dem sie saß, über ein zweckmäßiges, aber liebloses Mobiliar verfügte. Weder Bilder noch sonstige Dekorationen versuchten, den Patienten ihren Aufenthalt angenehmer zu gestalten. Da Ciara hoffte, in dem schmalen Schrank ihre Kleidung zu finden, wankte sie barfuß darauf zu. Aber dieser enthielt – bis auf ein paar verwaschene Handtücher – nichts. Die Polizei musste ihre Garderobe zur Spurensicherung mitgenommen haben.
Ciara klingelte nach der Schwester, die so blitzartig ins Zimmer trat, als habe sie direkt vor der Tür gewartet. In einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, forderte Ciara etwas zum Anziehen.
Erschöpft setzte sie sich wieder auf das Bett und fixierte die kahle weiße Wand. Ihre Finger bewegten sich so schnell auf den Oberschenkeln, als spiele sie ein Stakkato auf einem Klavier. Endlich kehrte die Krankenschwester zurück und übergab Ciara wortlos Unterwäsche, eine Bluejeans, einen gelben Pullover und ein Paar braune abgewetzte Mokassins.
Das Überstreifen der Jeans und das damit verbundene Gefühl auf der Haut beschwor eine Erinnerung herauf, die ihr die Tränen in die Augen trieb. Die Hose reichte ihr nur bis zu den Waden, passte aber sonst, als sei sie für ihre schlanke Figur gemacht. Der Pulli schlackerte um ihren Oberkörper und endete weit unter dem Po, auch in den zwei Nummern zu großen Schuhen fühlte sie sich unwohl.
Schwungvoll kletterte das Frettchen an Ciara hinauf und setzte sich auf ihre Schulter. Vorsichtig, beinahe schüchtern, stakste Ciara in den Flur. Sie entdeckte Doktor Philis an der Rezeption stehend, wo er sich mit einer Krankenschwester unterhielt, und steuerte auf ihn zu. Als er sie sah, richtete er noch einige Worte an die Schwester und trat dann Ciara entgegen. Er reichte ihr die Entlassungspapiere, die sie rasch unterschrieb, übergab ihr ein Rezept für ein Sedativum und bat sie, die Wunden von ihrem Hausarzt versorgen zu lassen.
»Ich habe keinen.«
»Sie haben keinen Hausarzt? Waren Sie noch nie krank?«
»Nichts, was meine Mutter nicht hätte behandeln können.«
»Dann bitte ich Sie, zur Nachsorge hierher zu kommen. Und – Moment.« Er eilte in einen Raum, der sich unmittelbar neben dem Schwesternzimmer hinter der Rezeption befand, und kehrte mit einer dunkelbraunen Wildlederjacke zurück. »Ziehen Sie die hier an. Sie können mir die Jacke morgen wieder mitbringen.«
Ciara nahm das Frettchen von ihrer Schulter und drückte es dem verblüfften Arzt in den Arm. Während sie die viel zu große Jacke überzog, die angenehm nach Leder und einem herben Aftershave roch, beschnupperte das bissige Frettchen Doktor Philis neugierig. Bevor es sich jedoch auf dessen Arm gemütlich niederlassen oder erneut um sich beißen konnte, nahm Ciara das Tier wieder an sich.
»Danke für Ihre Mühe.« Ciara versuchte, dem Arzt ein Lächeln zu schenken, stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen. Hastig drehte sie
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