Ciara
künstlich hervorgerufenen Dämmerung die schlanke Silhouette des Arztes. Sein kantiges Gesicht schimmerte in einem schwarzgrauen Scherenschnitt. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Wir müssen Sie vorerst hierbehalten, damit die Ursache für Ihre Ohnmacht und das hohe Fieber geklärt werden kann.«
Ciaras Zunge klebte an ihrem Gaumen, sie schluckte einige Male, um den Speichelfluss anzuregen, und leckte sich über die Lippen, bevor sie zu sprechen begann: »Ich hab mich zu sehr angestrengt. Hätte ein Taxi nehmen sollen. War dumm von mir.«
»Allerdings. Aber darüber sollten Sie sich jetzt keine Gedanken machen.«
Sein Tonfall verriet Ciara, dass der Arzt ihr etwas verschwieg. »Worüber muss ich mir denn Gedanken machen?«, erkundigte sie sich, ohne die Antwort wirklich hören zu wollen.
»Möglicherweise hat«, Doktor Philis stockte, »der Angreifer Sie mit einer Krankheit infiziert.«
Ciara schloss die Augen. Szenen der Gewalt spulten sich in ihrem Kopf ab. Schnell schob sie einen Riegel vor die Tür ihrer Erinnerungen und wandte sich an den Arzt: »Was ist es? Aids?«
»Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Ergebnisse des Bluttests werden ausgewertet. Möglicherweise handelt es sich nur um eine Grippe oder Nachwirkungen des Schocks. Sie müssen Geduld haben.«
»Das sagen Sie so leicht.«
»Gibt es jemanden, den ich heute benachrichtigen kann? Eine Tante, Ihre Oma, einen Freund oder eine Freundin?«
Ciara schüttelte den Kopf. »Da ist niemand, der mich vermisst. Vielleicht ist der Tod eine gute Lösung, um all dem ein Ende zu setzen?!«
Hastig sprang Doktor Philis von dem Stuhl empor, dabei kratzten die Stuhlbeine lautstark über den Boden, wie Kreide über eine Schiefertafel. Ciara wimmerte leise. Unstet marschierte der Arzt in dem kleinen Zimmer auf und ab, seine Stirn lag in Falten, die sich erst glätteten, als er sich wieder hinsetzte. »Sie haben Furchtbares erlebt. Es wird dauern, bis Sie darüber hinweg sind. Aber wollen Sie diesem Schwein, das Ihnen all diese inneren und äußeren Wunden zugefügt hat, auch noch die Genugtuung geben, Ihren Lebenswillen gebrochen zu haben?« Er beobachtete Ciara und suchte ihr Gesicht nach einer Reaktion ab, doch sie wich seinem Blick aus. Erst als der Arzt weitersprach, schaute sie wieder in seine Richtung.
»Falls Sie das wollen, dann gehen Sie nach Hause und warten ab, was mit Ihrem Körper passiert.« Seine rechte Hand zitterte leicht, als er sich durch das dichte braune, kurz geschnittene Haar fuhr. »Oder aber Sie lassen mich Ihnen helfen, damit Sie die Polizei unterstützen können, ihn zu fassen.«
Ciara biss sich auf die Lippen, ihre Augen füllten sich mit Tränen, die schon bald ein kleines Rinnsal entlang ihrer Schläfen bildeten und in dem weißen Kissen versickerten. Sanfter erkundigte sich Dr. Philis: »Was ist mit Ihrem Frettchen? Wenn niemand da ist, wie Sie sagen, wird sich keiner um das Tier kümmern.«
Bevor Ciara eine Antwort gab, wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Sie räusperte sich und sagte, während sie das Schattenspiel des spärlich hereinfallenden Lichtes an der Wand betrachtete: »Es ist zu Hause.« Jetzt drehte sie den Kopf zu Dr. Philis und bat: »Können Sie sich um es kümmern?«
Abermals fuhr sich der Arzt durch die Haare, schaute erst nach rechts, dann nach links, als stünden neben ihm weitere Personen, die Ciara möglicherweise gemeint haben könnte. Schließlich willigte er ein.
»Die Schlüssel sind in meiner Jackentasche«, sagte Ciara.
Sie schwiegen einige Atemzüge lang.
»Ihre Kleider werden noch im Behandlungsraum sein.« Dr. Philis wandte sich zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, zog er etwas aus seiner Hosentasche und trat noch einmal auf Ciara zu. »Die haben Sie gestern vergessen.«
Instinktiv hielt Ciara die Hand auf, leicht zitternd nahm sie die Kette entgegen. Erst als das Licht des Flures, das ihr für Sekundenbruchteile schmerzhaft in die Augen stach, den Arzt verschlang und die Tür sich hinter ihm wieder schloss, hob sie ihre Hand nah an die Augen, um die Kette näher zu betrachten. Das feine Silber glitt zwischen ihren Fingern hindurch, zärtlich berührte sie den kühlen glatten Stein, der ihrer Iris glich, als sei er deren Ebenbild. Die Gravur auf der Rückseite ertastete sie wie eine Blinde. Ciara küsste das Amulett. Weinkrämpfe schüttelten ihren Körper so stark, dass die Nähte, die den fehlenden Hautlappen an ihrem Hals überbrückten,
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