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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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misstrauisch bisher unbeachteten Nervenimpulsen nachspürte, ein Zwicken hier, ein verdächtiges Pochen in den Venen, ein Zusammenziehen der Kopfhaut, und auf beunruhigende Weise die Komplexität des Zusammenspiels der Organe nachempfand. Freddy Mercury war gerade gestorben, und auch bei uns hielt einer nicht durch, verinnerlichte ein Krankheitsbild nach dem anderen, vermeinte Herzrhythmusstörungen, Aneurysmen und Verengungen der Bronchien zu durchleiden, und nahm nach der zweiten Woche wieder den Bus zurück in die normale Welt. Ich lief spätnachmittags nach dem Unterricht mit tauben Füßen überfrorene Feldwege entlang, viel zu schnell, spürte die scharfe Kälte in den Lungenbläschen, das Pulsieren des Herzens in den Halsschlagadern, und versuchte zu verarbeiten, was jedes Kind weiß: dass unser Dasein an das lückenlose Funktionieren eines einzigen Muskels geknüpft ist, auf den wir willentlich so gut wie keinen Einfluss haben. Und wenn da etwas nicht in Ordnung wäre, dann - dann sollte es sich jetzt, in diesem Moment, ein für alle Mal offenbaren, und alles wäre entschieden und erledigt. Manchmal suchte ich auch einen Hochsitz auf, der nahe einer Lichtung im winterlichen Wald stand, und kletterte über die morschen Holzstufen hinauf. Langsam, während der sensibilisierte Verstand noch die Reaktionen des Organismus auf die Kälte registrierte, das Zusammenziehen der Haut, die aufgestellten Körperhaare, reduzierte Durchblutung der Peripherie, Reizung der Nasenschleimhaut – entspannte sich etwas tief innen, die Farben der blassen Dämmerung drangen ins Bewusstsein, und am Rand der Lichtung trat ein Reh zwischen den Zweigen hervor, die Ohren lauschend aufgestellt, doch ohne Furcht das erfrorene Gras fressend.

3
    Mitte August, gegen Ende eines Sommers, der die Versprechungen des Frühjahrs nicht hatte halten können, begann meine Dienstzeit auf der Rettungswache Fünf, und sie begann mit einem Knall. Es war der dritte Einsatz des Tages: Alarmierung, Aufsitzen, Ausfahrt. Ich bemühte mich, keine Zeit zu verlieren und das Lenkrad fest in der Hand zu halten.
    Auß erhalb des Stadtzentrums, auf einer Schnellstraße, hielten wir auf eine Kreuzung zu, gerade als die Ampel grün wurde. Die wartenden Fahrzeuge fuhren langsam vor und machten eine Gasse frei, um uns passieren zu lassen. Nicht breit, aber breit genug. Ich beschleunigte.
    Auf der Abbiegerspur links hatte sich ein Kleinlaster eingeordnet. Wie verzö gert registrierte ich erst nur am Rande des Gesichtsfeldes, dass der Fahrer es sich in diesem, dem denkbar ungünstigsten Moment, anders überlegte und schwungvoll ausscherte. Dann wurde er sich unser bewusst und bremste abrupt. Die freie Gasse war um ein entscheidendes Stück schmaler geworden.
    Vier Sekunden vielleicht und zwei Mö glichkeiten: Eine Vollbremsung, bei der sich die Spur nicht würde halten lassen, Zusammenprall mit verringerter Geschwindigkeit. Oder rollen lassen, darauf konzentriert, die Lücke, wenn sie denn breit genug war, zu treffen.
    Keine Zeit fü r einen Blick zu meinem Kollegen, der die Abmessungen des Wagens besser kannte, unmittelbar rechts von mir und doch weit entfernt. Ich nahm den Fuß vom Gas, zögerte eine halbe Sekunde über der Bremse, und was wohl den Ausschlag gab, war, dass ich einfach wissen wollte , ob die Lücke groß genug war. Und dass die Vorstellung eines selbst verschuldeten schweren Unfalls, noch dazu am ersten Tag, in meinem Kopf gar keinen Platz hatte.
    Dann passierten wir schon das Heck des Lasters.
    Es gab einen Schlag. Das Lenkrad zuckte kurz unter meinen Händen. Wir schossen über die Kreuzung. Links von mir, jenseits der Fensterscheibe, der durch die Wucht der Berührung abgerissene, nur noch an zwei farbigen Kabeln baumelnde Außenspiegel.

    Der Einsatz erwies sich als Fehlalarmierung. Wir holten den nutzlosen Spiegel ein, dessen Glas in einem konzentrischen Muster gesplittert war, und kehrten zurück zur Wache.
    Wenn ich geglaubt hatte, Lambertus wü rde mir, dem Neuen, einen Vortrag über die angemessene Fahrweise halten, dann wurde ich überrascht. Mit ausladender Geste und säuerlichem Grinsen überreichte er mir den abgetrennten Spiegel wie eine Trophäe: nicht schlecht für den ersten Tag. Die Kollegen voller Spott, aber es war eine gutmütige Art von Spott, so als hätte ich eine Mutprobe bestanden. Überrascht bemerkte ich, dass man mich mit einem gewissen Vertrauensvorschuss betrachtete. Der sauber abgetrennte Spiegel war so etwas wie ein

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