Und eines Tages kommt das Glück
Kapitel 1
Den Vorabend ihrer Abreise nach Irland verbrachte Romy Kilkenny in einem eleganten Restaurant mit Blick über den Hafen von Sydney. Das Restaurant war momentan der angesagte Treffpunkt der Schicken und Reichen, aber wegen seiner astronomischen Preise und der langen Wartezeiten gehörte es nicht unbedingt zu Romys Stammlokalen, die normalerweise in eine weitaus weniger glamouröse, aber beträchtlich günstigere Pizzeria in ihrer Straße ging. Und gemütlich war es dort auch. Romy mochte die karierten Tischdecken, die Chianti-Flaschen auf dem Tisch, die als Kerzenhalter dienten, und das herzliche Personal, das sie als Stammgast begrüßte. Denn trotz der spektakulären Aussicht, die sich ihr im Augenblick durch das Panoramafenster auf die beleuchtete Harbour Bridge und das Opernhaus bot, und trotz der stimmungsvollen Beleuchtung, der elegant gedeckten Tische und der grandiosen Blumenarrangements im Restaurant wünschte Romy sich, sie würden jetzt in der Pizzeria sitzen. Wenn sie bei Luigi zwei Pizze Peperoni zum Preis von einer mit doppelt viel Käse bestellten, hätte sie kein so schlechtes Gewissen gehabt, den Abend nicht entsprechend genießen zu können.
Sie hatte es sich so sehr gewünscht, an diesem letzten Abend etwas ganz Besonderes zu unternehmen, und Keith hatte buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und alles getan, damit der Abend für sie ein unvergessliches Erlebnis werden würde. Um einen der begehrten Tische am Fenster zu ergattern, hatte er wahrscheinlich jemandem einen großen Gefallen erweisen müssen. Doch sie hätten besser in der Opera Bar bleiben sollen, dachte
Romy, während sie mit leerem Blick auf die in Leder gebundene Speisekarte starrte. In der Bar hatten sie zuvor noch rasch ein Bier getrunken, eingekeilt zwischen einem lärmenden Junggesellinnenabschied und einer Gruppe muskulöser Rugbyspieler, die auf Biegen und Brechen ihren Spaß haben wollten. Inmitten dieser amüsierwütigen Menge hätte sie keine Zeit gehabt, sich selbst leidzutun. Wahrscheinlich hätte sie zu viel Bier getrunken und albern herumgelacht und wäre dann auf ihren unmöglich hochhackigen Schuhen, die Keith an dem Abend das erste Mal an ihr gesehen hatte, nach Hause getorkelt. Keith hatte nicht schlecht gestaunt bei ihrem Anblick, da er so daran gewöhnt war, sie entweder mit knöchelhohen Stiefeln oder mit Flip-Flops an den Füßen zu sehen, nicht aber mit elegantem Schuhwerk. Ihr einziges Paar Schuhe mit hohen Absätzen hatte ihn wirklich sehr beeindruckt, vor allem, weil sie ihm damit fast bis zur Schulter reichte. Romy war mit ihren ein Meter fünfundsechzig von durchschnittlicher Größe (und von eher stämmiger Statur, wie ihr Vater einmal wenig charmant bemerkt hatte), aber Keith war geradezu ein Hüne, neben dem sie klein und zart erschien. Einer der Gründe, weshalb sie sich so gern mit ihm sehen ließ.
Romy hatte gelacht und gescherzt in der Opera Bar und sich ernsthaft bemüht, munter und sorglos zu erscheinen, doch jetzt – umgeben von flüsternden Kellnern und überwältigt von der schieren Eleganz ihrer Umgebung – hatte die Wirklichkeit Romy plötzlich wieder eingeholt. Sie wusste, in vierundzwanzig Stunden wäre sie auf dem Weg nach Irland, und sie wusste auch, dass sie dort nicht sein wollte, während Keith hier zurückblieb – auch wenn das ihre Heimat war. Aber warum ging ihr das plötzlich so nahe? Sie und Keith waren schon öfter getrennte Wege gegangen, doch nie hatte sie sich so verlassen gefühlt.
Romy fürchtete sich davor, nach Hause zu fahren. Und das nicht nur, weil sie Australien und Keith verlassen musste, sondern weil sie dort zu ihrer Familie zurückkehren würde. In den
vergangenen Jahren, als sie durch die Welt gezogen war, hatte sie kaum je einen Gedanken an sie verschwendet. Wahrscheinlich war das ihrer Familie auch ganz recht gewesen, dachte sie. Auf jeden Fall entsprach Romys Lebensstil ihrer Vorstellung von einem guten Leben. Je weniger sie und ihre Familie miteinander zu tun hatten, umso besser, zumindest, wenn es nach Darragh, Kathryn und Veronica ging (ironischerweise war vor allem Veronica dieser Meinung).
Während sie darauf warteten, dass ihre Bestellung gebracht wurde, erzählte Keith (wie immer bester Laune und ohne ihre Stimmung mitzubekommen) von seinen Plänen für die folgende Woche. Er wollte hinauf an die Gold Coast fahren und sich dort mit einigen ihrer Freunde für ein paar Tage zum Tauchen, Wasserskifahren und Surfen
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