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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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herum an den ehemaligen Ställen vorbei zur Straße gelaufen, wo sie sich hinter den Büschen im Park versteckte. Von hier aus konnte sie die Vorderseite des Hauses gut überblicken.
    Die Rosen im Park neben ihr verströmten einen süßen, schweren Duft. Die Bäume bewegten sich kaum, sie breiteten ihre Zweige über Pandora und schienen wie sie den stillen Platz vor dem Haus zu bewachen. Kein Lüftchen regte sich. Trotzdem fröstelte sie. Nach der zermürbenden Hitze des Tages war der Abend kalt geworden, Dunstschleier hingen zwischen den Laternen, die vor manchen Häusern leuchteten.
    Endlich hörte sie das Klirren eines Pferdegeschirrs und sah den großen plumpen Umriss von Kutsche und Pferd. Prustend und schnaubend warf das Tier den Kopf von einer Seite zur andern, als spüre es Pandoras Gegenwart, doch der Kutscher kümmerte sich nicht darum, sondern nahm, sobald das Pferd stehen blieb, eine vergoldete Laterne vom Kutschbock und ging damit zum Hauseingang.
    Im schimmernden Licht der Kerzen war Madame Orrery aufgetaucht, nun kam sie graziös über den Weg geschwebt. Ihr Haar war reichlich gepudert, und auf ihren Schultern lag eine Pelzstola wie eine Decke aus frisch gefallenem Schnee.
    Pandora beobachtete, wie der Kutscher der großen eleganten Frau den Wagenschlag aufhielt und ihr hineinhalf. Dann ging er nach vorn zum Kutschbock, hängte die Laterne wieder an ihren Platz und griff nach den Zügeln. Er schnalzte zweimal mit der Zunge, und das Pferd setzte sich in Bewegung, tänzelnd ließ es seine Hufe über die Pflastersteine scharren.
    Jetzt musste Pandora handeln. Sie trat aus dem Schatten der Bäume, und in dem Moment, in dem die Kutsche davonzufahren drohte, hielt sie sich hinten fest und lief mit. Es war schwerer, als sie gedacht hatte. Die Kutsche machte einen unvermittelten Ruck, der sie fast zu Boden warf, aber es gelang ihr, sich an ein hinten überstehendes Eisengeländer zu klammern und vorsichtig ihre Füße nachzuziehen. Zwischen den sich drehenden Rädern war eine kleine Plattform, auf der sie erst sicheren Halt suchte und dann allmählich in die Hocke ging – so wie sie es damals, auf ihrer ersten Fahrt durch die Stadt, bei den Straßenkindern gesehen hatte.
    Die Kutsche, die jetzt auf St Giles zuraste, hatte schnell Tempo aufgenommen. Pandora verzog schmerzvoll das Gesicht, als die Räder über die Pflastersteine rumpelten – ein paar Mal wäre sie beinahe von der kleinen Plattform heruntergefallen – aber sie biss die Zähne zusammen und hielt sich gut fest. Anders als der Kutschkasten, der gut gefedert war, wackelte und ruckelte der Boden unter ihr ununterbrochen. In Pandoras Armen und Beinen vibrierte es. Ihr Kleid war bald voller Dreckspritzer von all dem Unrat auf den Straßen.
    Sie fuhren immer tiefer in die Stadt hinein, bis Pandora allmählich jede Orientierung verloren hatte. In den schmalen Durchgängen zwischen den Häusern leuchteten kleine Feuer auf, und sie sah zerlumpte Gestalten in Eingänge gekauert oder unter Verschlägen zusammengedrängt. Nachtwächter durchstreiften die Straßen, hielten ihre Laternen in düstere Winkel, verscheuchten Unruhestifter. Pandora machte sich so klein wie möglich und hoffte, nicht entdeckt zu werden, doch niemand schlug Alarm, falls überhaupt jemand sie gesehen haben sollte.
    Endlich wurde die Straße breiter, und endlich sah sich Pandora in einer Umgebung, die sie ziemlich gut kannte: die breite Straße, die direkt zum Tor des Heims führte. Schon konnte sie die dunklen, hinter ihrer schützenden Steinmauer zusammengedrängten Gebäude sehen und war überrascht von dem Gefühl der Freude, das in ihr aufstieg. Sie hatte das Heim weit mehr vermisst, als sie geahnt hatte, und sehnte sich nach seinen weiten Fluren und Sälen.
    Sie sprang ab, sobald die Kutsche langsamer wurde, und schlich über die Straße zu einem kleinen Hof, in dem sie sich verstecken wollte. Längs der Umzäunung lagen große Ascheberge aufgehäuft, Staubwolken trieben vor ihren Augen.
    Aus der Sicherheit ihres Aussichtspunktes beobachtete sie, wie die Kutsche vor dem Eingangstor hielt und eine weißhaarige Gestalt mit einer Laterne Madame Orrery ins Haus begleitete. Der Heimvorsteher. Sie erkannte ihn an seinem humpelnden Gang. Die beiden verschwanden in der Eingangshalle.
    Plötzlich sah sich Pandora vor einem Problem, an das sie nicht gedacht hatte. Wie sollte sie hineinkommen? Der Pförtner hatte gerade seinen Posten neben dem Tor bezogen und plauderte angeregt mit dem

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