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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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einzigen Gedanken im Kopf: den Jungen finden und ihn vor Madame Orrery warnen, die hinter seiner Kugel her war.
    Im Nu war sie auf dem Treppenabsatz und lief die Stufen empor. Der Schlafsaal der Jungen war wie der der Mädchen im obersten Stockwerk; im Heim kannte sie sich aus.
    Sie hörte Schritte hinter sich – war sie gesehen worden? – und beschleunigte ihr Tempo.
    Fast im gleichen Moment erkannte sie ihren Fehler. Es gab nur diese eine Treppe. Falls Madame Orrery ihr folgte, säße sie in der Falle.
    Im flackernden Licht der Kerzenflamme konnte sie jetzt die Tür zum Schlafsaal erkennen. Sie rannte darauf zu.
    Verzweifelt fingerte sie an ihrem Schlüsselbund, schob die Schlüssel, die sie schon benutzt hatte, beiseite. Am Ende entschied sie sich für einen, den sie nicht kannte: ein großer Schlüssel mit weit vorstehenden schwarzen Zacken. Hoffentlich würde er passen! Sie steckte ihn ins Schlüsselloch, drehte und spürte, wie das Schloss nachgab.
    Mit einem erleichterten Seufzer öffnete sie die Tür und schlich hinein.
     

 

     

Die Kammer unter der Treppe
    Cirrus war kaum eingeschlafen, da weckte ihn eine Stimme.
    »Cirrus? Cirrus Flux?«
    Die Worte drangen in sein Ohr, schlichen sich in seinen Schlaf, und doch klammerte er sich weiter an die unscharfen Schwellen eines Traumes. Er war mit Bottle Top auf den Galgenbaum geklettert. Sie saßen hoch über den Wiesen ….
    Die Stimme wurde lauter, eindringlicher.
    »Cirrus Flux?«
    Es war eine Mädchenstimme.
    Ein Mädchen! Erschrocken riss er die Augen auf und fuhr hoch, sein Traum stürzte in sich zusammen. Er reckte den Hals, um den Schlafsaal überblicken zu können: Die anderen Jungen schliefen fest, ihr gleichmäßiges Atmen hob und senkte sich in sanften Wellen. Ein Licht bewegte sich durch den Raum auf ihn zu.
    Er blinzelte, wollte es deutlicher erkennen. Es muss ein Engel sein, dachte er erst. Alles, was er ausmachen konnte, war ein im Kerzenlicht schimmernder kupferroter Wuschelkopf; dann sah er das schlichte braune Kleid, das das Mädchen trug, und die vertraute rote Borte – wie ein in den Stoff gewebter Saum aus Blut. Er begriff, dass sie nur ein Findelkind war wie er selbst. Aber wie kam sie in den Jungenschlafsaal? Und was wollte sie hier?
    »Cirrus Flux?«, flüsterte sie noch einmal fragend, eine Spur von Angst in der Stimme.
    Diesmal nickte er, und sie huschte zu ihm hin.
    »Gott sei Dank, dass ich dich gefunden habe!«, sagte sie atemlos. »Wir müssen reden!«
    Ihre Stimme war wie ein aufspringendes Medaillon: Sie ließ einen schwachen Einblick in die Gefühle des Mädchens selbst zu. Sie konnte kaum älter sein als er, vermutete Cirrus; und sie hatte Angst. Die Kerzenflamme in ihrer Hand wurde allmählich kleiner, und das Mädchen blickte hastig zur Tür.
    Plötzlich packte sie ihn am Ellbogen und zerrte ihn aus dem Bett auf den Fußboden. Ehe er protestieren konnte, legte sie einen Finger an die Lippen. »Schscht!«, zischte sie. »Sie kommt!«
    Einen Moment lang spürte er ihre Blicke in seinen Augen brennen, blitzende Lichtpunkte, die etwas ausdrückten, das er nicht verstand. Wie Bernstein schienen sie etwas aus der Vergangenheit des Mädchens in sich einzuschließen: bittere heimliche Tränen.
    »Wer kommt?«, murmelte er, doch sie wandte wieder den Kopf, um zu lauschen und löschte seine Frage aus wie die Kerzenflamme, die eben noch den Raum erleuchtet hatte.
    Auch Cirrus lauschte. Außer dem ununterbrochenen Pochen des Blutes in seinen Ohren nahm er Schritte auf der Treppe wahr. Zu leicht, als dass es die des Vorstehers hätten sein können. Sie näherten sich dem Treppenabsatz und machten vor dem Schlafsaal halt.
    Sein Blick flog zu der dunklen Tür, die der Vorsteher nie abzuschließen vergaß. Licht sickerte durch die Ritzen im Holz.
    Das Mädchen neben ihm spannte jeden Muskel. »Ich hab vergessen abzusperren«, raunte sie ihm zu.
    Die Klinke bewegte sich langsam nach unten.
    Wie gebannt sah er zu, wie die Tür Zentimeter um Zentimeter aufgeschoben wurde und eine faszinierende Frau den Schlafsaal betrat. Sie trug ein vornehmes Kleid, ihre Frisur war zu silbernen Locken aufgetürmt. Einer der Fensterläden stand noch halb offen, sodass Mondlicht auf sie fiel.
    Cirrus hielt den Atem an; die Angst des Mädchens war ansteckend.
    Mit einer Petroleumlampe in der Hand ging die Frau von Bett zu Bett, beugte sich hier und da über die Plaketten, die die Jungen um den Hals trugen. Automatisch griff Cirrus nach seinem Anhänger. Er

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