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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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Pfannen führte sie schnell zur Küche, und von da aus war es ein Leichtes, zur Vorderseite des Gebäudes zu gelangen.
    Der Haupteingang wurde von einer einsamen Laterne erhellt, deren Glaszylinder vom Schmutz der Jahre getrübt war. Dicht an der Wand schlich Pandora weiter und öffnete versuchsweise die Tür.
    Sie war nicht verschlossen.
    Pandora holte tief Luft, schob die Tür auf und ging hinein.
    Sie war in der Eingangshalle. Vor einem Wandspiegel stand auf einem Tischchen in ihrer Nähe eine einzelne Kerze. Pandora nahm sie und leuchtete damit nach allen Seiten. Eine breite Holztreppe verschwand in der Dunkelheit über ihr.
    Mit leisen Schritten stieg sie die Treppe hinauf. Sie wusste, die Kinder würden schon im Bett sein; das Heim lag still und ruhig.
    Auf dem ersten Treppenabsatz blieb sie stehen. Holzbänke standen an den Wänden des Flurs zu ihrer Linken, und in der Ecke tickte feierlich eine Uhr. Sie lauschte angestrengt und hörte durch eine Tür weiter vorn Stimmengemurmel dringen.
    Sie schlich näher.
    In der Bildergalerie war es kalt und finster. Die kunstvollen Ölgemälde an den Wänden waren schwarz wie die Nacht und die meisten der Vorhänge zugezogen. Aus dem Nebenzimmer flackerte jedoch Feuerschein. Pandora schirmte mit der Hand ihre Kerzenflamme ab, ging auf Zehenspitzen bis zur Verbindungstür und spähte hinein.
    Madame Orrery saß neben Mr Chalfont vor dem Feuer. Sie fuhr mit den Fingern durch die Luft und sprach eindringlich auf ihn ein: »Versetzen Sie sich zurück, versetzen Sie sich zurück …« Ihre Sessel berührten sich beinahe. Auf einem Tischchen neben ihnen lag Madame Orrerys silberne Uhr.
    Pandora konnte ihr leises eindringliches Ticken hören. Etwas an diesem Ticken verwirrte sie, brachte sie jedes Mal ins Grübeln: eine Unregelmäßigkeit im Mechanismus – eine kurze wiederkehrende Unterbrechung –, sodass sie den Eindruck hatte, die Uhr würde rückwärtsgehen …Oder wurde sie einfach nur langsamer?
    Ihre Augenlider wurden schwer, ihre Gedanken verworren und unscharf. Sie umklammerte die Kerze fester, wehrte sich mit ihrer ganzen Willenskraft gegen die merkwürdige Schläfrigkeit, die sie plötzlich überfiel.
    Es war zu spät, um den Vorsteher zu warnen. Sie sah, dass seine Augen schon glasig wurden und dass die Farbe fast ganz aus seinem Gesicht gewichen war.
    Madame Orrery erhob sich aus ihrem Sessel, legte die Uhr weg und warf im Vorbeigehen einen Blick auf das Gesicht des Vorstehers. Er rührte sich nicht, er blinzelte nicht. Seine Augen waren offen, aber er schien zu schlafen. Mit einem kalten Lächeln ging Madame Orrery zu den Schränken an der Wand – denselben, die schon einmal ihre Aufmerksamkeit erregt hatten – und fing an, zwischen den einzelnen Erkennungssymbolen der Kinder herumzusuchen.
    Verwundert sah Pandora zu. Wonach suchte sie? Was war so wichtig, dass sie deswegen hatte zurückkommen müssen? Was immer es sein mochte, ihrem finsteren Gesicht nach zu schließen, fand sie es nicht.
    Scheinbar verärgert drehte sich Madame Orrery nun nach dem Segelschiffgemälde um, das über dem Kaminsims hing. Sie schien eine Weile über das in eisigen Gewässern gefangene Schiff nachzudenken, dann wandte sie sich dem Porträt über dem Schreibtisch zu, das die Ehefrau des Vorstehers zeigte.
    Pandora zog sich hastig weiter ins Dunkel zurück, als Madame Orrery auf den Schreibtisch zuging und anfing, die Schubladen auszuräumen: Sie fand ein Medaillon, einen Schildpattkamm und eine kleine Dose mit Ingwerstückchen, die sie in ihrer Hand klappern ließ.
    Pandora runzelte die Stirn. Etwas fehlte, etwas, das sie vorher hier gesehen hatte. Was war es nur?
    Und dann fiel es ihr ein.
    »Die Kugel«, sagte Madame Orrery, die offenbar denselben Verdacht hatte. »Wo ist sie? Sie muss doch hier sein!«
    Sie stellte die Ingwerdose zurück auf den Schreibtisch und schaute dem Vorsteher in die Augen. »Was hast du damit angestellt, du gefühlsduseliger Tropf? Hast du sie dem Jungen gegeben?«
    Der Gedanke schien sie aufzubringen. Ihre Finger zupften nervös an ihrem Kleid. Da entdeckte sie einen Schlüsselbund in der Tasche des Vorstehers, sie griff zu und nahm die Schlüssel an sich. »Soll ich vielleicht hinaufgehen und ihn suchen?«
    Der Vorsteher blinzelte ein wenig, und Pandora, die befürchtete, er könnte antworten, stieß einen leisen Schreckenslaut aus. Augenblicklich fuhr Madame Orrery herum …
    … aber Pandora war schon aus dem Raum gerannt. Sie hatte nur einen

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