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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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Kutscher, der den Kragen seines langen braunen Umhangs hochgeschlagen hatte, als bereite er sich auf eine lange Nacht vor. Eine Laterne zwischen den beiden Männern spendete ein wenig Licht.
    Pandora umklammerte den Schlüsselbund in ihrer Tasche und überlegte, was sie tun sollte. Sie trug das Kleid der Findelkinder – eine perfekte Tarnung –, aber anders als Madame Orrery konnte sie nicht gut auf den Pförtner zugehen und um Einlass bitten. Die Heimkinder durften selten, wenn überhaupt, das Gelände durch das vordere Tor verlassen, sie würde also Verdacht erregen.
    Verzweifelt sah sie sich nach einer anderen Lösung um. Plötzlich fielen ihr die zwei Jungen ein, die sie vor ein paar Wochen dabei beobachtet hatte, wie sie sich über die hintere Mauer des Heims davongestohlen hatten, und schon rannte sie aus dem Hof fort in Richtung der Wiesen. Es war nur eine winzige Möglichkeit, aber sie ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
    Der Mond hing groß über ihr am Himmel, aber er war in Dunst gehüllt und verbreitete einen unheimlichen Schein. Trotzdem reichte sein Licht, sie konnte den Weg gerade so erkennen. Die Außenmauer des Heims warf tiefe Schatten. Pandora ging schnell, ihre Füße in den Schnürschuhen stolperten über den unebenen Boden. Ein leises zaghaftes Rascheln folgte ihren Schritten durch die Dunkelheit, und sie blieb mehrmals stehen, um sich zu überzeugen, dass niemand hinter ihr her war. Doch die Wiesen lagen verlassen. Nur der einsame Umriss einer Eiche ragte in der Ferne auf, seine gezackten Finger kratzten am Himmel.
    Dann, gerade als sie zur Rückseite des Gebäudes kam, wo die Mauer eine Biegung machte, hörte sie den heiseren Schrei eines Tieres. Es klang anders als jeder Tierlaut, den sie bisher gehört hatte, eine Mischung aus Schreien und Heulen. Sie duckte sich gegen die Mauersteine, Gänsehaut überlief sie.
    Sie sah sich nach beiden Seiten um. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und ringsum gab es nichts als das stumme Atmen der Gräser. Weit im Osten flackerte ein rötlicher Schein am Himmel. Irgendein Feuer.
    Zögernd ging sie weiter. Muss ein Fuchs gewesen sein, dachte sie und versuchte, sich zu beruhigen. Oder ein Kaninchen ist von irgendeinem Raubtier, etwas Wildem, gefangen worden. Einer Eule vielleicht.
    Schließlich erreichte sie den Obstgarten, von dem aus die Jungen über die Mauer gestiegen waren. Sie roch den üppigen Duft und konnte die Baumwipfel über sich erkennen. Aus ihrer Tasche kramte sie eine kleine Zunderbüchse, die sie vorsorglich eingesteckt hatte. Mit Stahl und Flintstein schlug sie Feuer und sah winzige Funken in der Dunkelheit auflodern.
    Nichts. Keine Spur von dem Seil, mit dem die Jungen damals, vor ein paar Wochen, ihre Flucht bewerkstelligt hatten. Was, wenn sie es weggenommen hatten? Wenn es einfach gar nicht mehr da hing?
    Der Gedanke war ihr vorher überhaupt nicht gekommen, ein jäher Angstschauder lief ihr über den Rücken. Mit zitternden Fingern schlug sie noch einmal Feuer und suchte in seinem spärlichen Licht die Mauer ab.
    Da! Etwas Dünnes wie eine Ranke hing vor den Mauersteinen und verschwand in einem nahen Ast. Sofort hängte sich Pandora daran, ängstlich, das Ganze könnte sich als eine Täuschung herausstellen. Hastig steckte sie die Zunderbüchse ein und schlang die Beine um das Seil.
    Es war durch etliche Knoten in Abschnitte von ungefähr einem halben Meter unterteilt, und die benutzte sie beim Klettern als Sprossen. An der unebenen Mauer schürfte sie sich die Fingerknöchel auf, aber sie ignorierte den stechenden Schmerz, und es dauerte nicht lange, da lag sie auch schon auf dem flachen Steinsims und sah zum Mond hinauf. Ihr Herz klopfte laut, ihre Muskeln zuckten.
    Dann hörte sie zum zweiten Mal den halb erstickten Schrei. Er kam näher! Ängstlich wandte sie den Kopf und versuchte, ihre Umgebung zu erkunden.
    Das Heim lag in Dunkelheit gehüllt, nur aus den Fenstern ganz im Westen des Gebäudes fielen Lichtstreifen, dort, wo Mr Chalfont wahrscheinlich mit seinem Gast saß. Nach einem kurzen Blick auf das dichte Gestrüpp unter ihren Füßen tastete Pandora nach dem nächsten Baum, kletterte auf die Äste, ließ sich vorsichtig am Stamm hinunter und stand bis an die Knöchel in weicher Erde.
    Ohne sich weiter aufzuhalten, lief sie durch den Obstgarten ans Ende der Wiese. Die Wasserpumpe neben der Krankenstation kam in Sicht, aber Pandora bog zur Kapelle ab und huschte quer über den Hof. Das Klirren und Klappern von

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