City of Lost Souls
trägt Valentin die Verantwortung.«
Clary schwieg. Sie erinnerte sich wieder an den fürchterlichen Gedanken, der eben in ihr hochgekommen war: Ihre Mutter hätte Sebastian direkt nach der Geburt töten sollen.
»Ihr beide fühlt euch schuldig für Dinge, die ihr nicht in der Hand habt«, sagte Simon. »Du machst dir Vorwürfe, weil du Jace allein auf der Dachterrasse zurückgelassen hast … «
Ruckartig hob Clary den Kopf und sah Simon scharf an. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie ihm gegenüber erwähnt hatte, sich die Schuld an Jace’ Verschwinden zu geben. »Ich hab doch nie … «
»Aber du kannst es auch nicht leugnen«, entgegnete Simon. »Der entscheidende Punkt ist doch: Ich habe Jace ebenfalls da oben zurückgelassen, genau wie Isabelle und Alec … und Alec ist sein Parabatai . Wir hätten unmöglich vorhersehen können, was passieren würde. Wenn du geblieben wärst, wäre das Ganze vielleicht sogar noch schlimmer geworden.«
»Vielleicht.« Clary wollte nicht darüber reden. Sie wich Simons Blick aus und ging ins Bad, um ihren flauschigen Pyjama anzuziehen und sich die Zähne zu putzen. Sorgfältig vermied sie jeden Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Sie hasste es, dass sie so blass aussah und dunkle Ringe unter den Augen hatte. Missmutig riss sie sich zusammen: Sie war stark und sie würde nicht zusammenbrechen. Denn sie hatte einen Plan. Auch wenn dieser Plan ein wenig verrückt war und etwas mit einem Diebstahl im Institut zu tun hatte.
Als sie fertig war, band sie ihre lockigen Haare zu einem Pferdeschwanz und trat genau in dem Moment aus dem Bad, als Simon eine Flasche in seine Kuriertasche zurückgleiten ließ – zweifellos das Blut, das er bei Taki’s gekauft hatte. Clary ging zum Bett und zerzauste ihm die Haare. »Du kannst die Flaschen gern in den Kühlschrank stellen«, meinte sie. »Falls du es nicht lauwarm trinken magst.«
»Ehrlich gesagt, ist eiskaltes Blut noch schlimmer als lauwarmes. Es schmeckt am besten aufgewärmt, aber ich glaub nicht, dass deine Mom sehr begeistert wäre, wenn ich dafür einen ihrer Töpfe verunstalte.«
»Hat Jordan was dagegen?«, hakte Clary nach und fragte sich, ob Jordan sich überhaupt noch daran erinnerte, dass Simon bei ihm wohnte. In der vergangenen Woche hatte Simon jede Nacht bei ihr verbracht. In den ersten Nächten nach Jace’ Verschwinden hatte sie nicht schlafen können. Obwohl sie sich fünf Decken über den Kopf gezogen hatte, wollte ihr einfach nicht warm werden. Zitternd lag sie wach und stellte sich vor, wie eiskaltes Blut träge durch ihre Adern floss und Eiskristalle langsam ein korallenartiges Gebilde um ihr Herz bildeten. Schwarze Ozeane, Treibeis und gefrorene Seenplatten beherrschten ihre Träume – und Jace, dessen Gesicht stets hinter Schatten, einer Atemwolke oder seinen eigenen schimmernden Haaren verborgen lag, während er sich von ihr abwandte. Und obwohl Clary vor Erschöpfung immer wieder die Augen zufielen, schreckte sie jedes Mal nach wenigen Minuten wieder hoch, weil sie im Traum zu ertrinken drohte.
Am ersten Tag der endlosen Befragungen war sie von der Ratssitzung ausgelaugt nach Hause zurückgekommen und sofort ins Bett gefallen. Doch sie hatte nicht schlafen können, bis sie irgendwann ein Klopfen an ihrer Scheibe hörte. Kurz darauf war Simon durch ihr Fenster geklettert, wobei er beinahe kopfüber auf ihren Zimmerboden gestürzt wäre. Wortlos hatte er sich neben sie ins Bett gelegt. Seine Haut war kalt gewesen und er hatte nach Stadtluft und erstem Nachtfrost gerochen.
Clary hatte sich schweigend an seine Schulter gekuschelt, woraufhin die Anspannung, die ihren Körper fest im Griff hielt, sich etwas löste. Simons Hand war zwar kühl, aber auch vertraut, genau wie das Gewebe seiner Cordjacke an ihrem Arm.
»Wie lange kannst du bleiben?«, fragte sie in die Dunkelheit.
»So lange du willst.«
Clary drehte sich auf die Seite und sah ihn an. »Hat Izzy denn nichts dagegen?«
»Sie hat mich zu dir geschickt. Denn sie meinte, du könntest nicht schlafen – und wenn du dich durch meine Anwesenheit besser fühlst, kann ich die ganze Nacht bleiben. Oder wenigstens so lange, bis du einschläfst.«
Erleichtert atmete Clary auf. »Bleib die ganze Nacht. Bitte.«
Und Simon war geblieben. In jener Nacht hatte sie zum ersten Mal keine Albträume gehabt.
Solange Simon an ihrer Seite lag, war ihr Schlaf traumlos und leer, ein dunkler Ozean des Nichts. Ein Zustand schmerzloser
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