Clancy, Tom
stärker und schließlich unerträglich. Aber er musste sie
ertragen. Er konnte ihnen nicht entfliehen und nicht einmal laut zu Allah beten,
ihn endlich zu erlösen. Die Schmerzen ließen sich nicht verdrängen. Sie waren
da. Sie wurden zu seiner einzigen Realität. Sie überwältigten sein Bewusstsein.
Außer ihnen gab es jetzt nichts mehr. Mitten in seinem Körper war ein Feuer
ausgebrochen und verbrannte ihn von innen nach außen. Eine so schreckliche
Erfahrung hatte bisher außerhalb seiner Vorstellungskraft gelegen. Sollte der
Tod denn nicht eigentlich eine schnelle Angelegenheit sein? War Allah denn
nicht barmherzig in allen Dingen? Warum ließ es Allah dann zu, dass man ihm
solche Qualen bereitete? In seinem Kampf gegen die Schmerzen wollte er die
Zähne zusammenbeißen. Er wollte, er musste laut schreien, um etwas gegen die
Agonie zu unternehmen, die in seinem Körper wütete.
Aber sein
Körper gehorchte ihm nicht. Der Schmerz war jetzt die einzige Wirklichkeit.
Alles, was er sehen und hören und fühlen konnte, war Schmerz. Selbst Allah der
Herr war Schmerz ...
Allah tat
ihm das an. Wenn alles auf dieser Welt Gottes Wille war, waren es dann auch
diese Schmerzen? Warum ließ er das zu? War Allah nicht der Gott des unendlichen
Erbarmens? Wo zum Teufel blieb denn jetzt sein Erbarmen? Hatte ihn Allah
verlassen? Warum?
Warum? WARUM?
Dann
driftete sein Geist in die Bewusstlosigkeit ab. Nur noch ein letzter
schrecklicher Schmerz schickte ihn auf den Weg ins Nichts.
Auf der EKG-Anzeige tauchten die ersten Unregelmäßigkeiten auf. Pasternak wurde aufmerksam. Normalerweise
war es im OP seine Aufgabe als Narkosearzt, die Lebensfunktionen des Patienten
genau zu überwachen. Dies schloss natürlich auch das EKG-Gerät mit ein. Tatsächlich
war er zugleich ein fähiger Kardiologe. Jetzt musste er also genau aufpassen.
Sie wollten diesen elenden Schurken ja nicht umbringen, obwohl er dies ein
wenig bedauerte. Er hätte ihm einen Tod bereiten können, wie ihn noch wenige
Menschen erleiden mussten, und dies wäre nur eine gerechte Strafe für alle
seine Verbrechen gewesen. Aber er war Arzt und kein Henker, sagte sich
Pasternak und holte sich selbst vom gefährlichen, tödlichen Rand eines inneren
Abgrunds zurück. Nein, sie mussten auch diesen Kerl wieder zurückholen. Er
griff also nach der Beatmungsmaske. Der »Patient«, wie er ihn im Stillen
nannte, war ohnmächtig geworden. Er presste die Maske auf dessen Gesicht und
drückte auf den Knopf. Sofort pumpte das Gerät Luft in die schlaffen,
zusammengefallenen Lungen. Pasternak schaute auf.
»Okay,
halten Sie den Zeitpunkt fest. Wir beatmen ihn von nun an. Der Patient ist im
Moment ohnmächtig, und wir leiten jetzt Luft in seine Lungen. Das sollte etwa
drei bis vier Minuten dauern. Könnte jemand von Ihnen hierherkommen?«
Chavez,
der am nächsten stand, trat an den provisorischen Operationstisch heran.
»Halten
Sie ihm diese Paddel an die Brust.«
Ding tat
wie geheißen und schaute auf die EKG-Anzeige. Die Linienschwankungen hatten
sich inzwischen beruhigt und waren von regelmäßigen Kurven abgelöst worden, die
allerdings noch nicht im Sinusrhythmus verliefen. Seine Frau hätte das
wahrscheinlich sofort erkannt, aber für ihn waren das nur rätselhafte Anzeigen
auf einem Bildschirm. Links von ihm drückte Dr. Pasternak in einem
regelmäßigen Abstand von etwa acht oder neun Sekunden auf den Knopf des
Beatmungsgeräts. »Wie steht's, Doc?«, fragte Chavez.
»Sein Herz
hat sich beruhigt, da es wieder mit Sauerstoff versorgt wird. Das
Succinylcholin ist in ein paar Minuten abgebaut. Wenn Sie sehen, dass er seinen
Körper wieder bewegt, ist es fast vorbei. Ich werde ihn noch etwa vier Minuten
beatmen«, berichtete der Doc.
»Was hat
er durchgemacht?«
»Hoffentlich
erfahren Sie das niemals selbst. Wir haben bei ihm einen schweren Herzanfall
ausgelöst. Die Schmerzen müssen schlimm, und ich meine sehr, sehr schlimm,
gewesen sein. Zweifellos eine entsetzliche Erfahrung. In ein paar Minuten
werden wir wissen, wie er darauf reagiert, aber er hat auf jeden Fall etwas
durchgemacht, das niemand noch einmal erleben möchte. Er glaubt wahrscheinlich,
er habe in die tiefsten Tiefen der Hölle geschaut. Also, was das bei ihm
bewirkt hat, werden wir in wenigen Minuten sehen.«
N ach vier Minuten und dreißig
Sekunden bewegte der Emir zum ersten Mal wieder die Beine. Dr. Pasternak
schaute auf die EKG-Anzeige auf dem Reanimationsgerät und entspannte sich.
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