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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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aus dem Sessel hoch. Paulinos plötzlich heisere Stimme fragte:
    »Was ist, Claudia?«
    »Nichts, Senhor Morais. Ich muss gehen. Es ist schon spät.«
    »Es ist noch nicht mal sieben.«
    »Aber ich muss gehen.«
    Sie wollte einen Schritt zur Tür hin machen, doch Paulino stellte sich ihr in den Weg. Zitternd und verschreckt sah sie ihn an. Er beruhigte sie. Strich ihr über die Wange wie ein liebevoller Großvater und murmelte:
    »Dummerchen! Ich tue Ihnen nichts. Ich will doch nur Ihr Bestes …«
    Genau so, wie ihre Eltern immer sagten: »Wir wollen ja nur dein Bestes …«
    »Haben Sie gehört? Ich will nur Ihr Bestes!«
    »Ich muss gehen, Senhor Morais.«
    »Glauben Sie, was ich gerade gesagt habe?«
    »Ja, Senhor Morais.«
    »Sind Sie meine Freundin?«
    »Ja, Senhor Morais.«
    »Wollen wir uns immer gut vertragen?«
    »Das hoffe ich, Senhor Morais.«
    »Wunderbar!«
    Wieder strich er ihr über die Wange, dann sagte er:
    »Was ich erzählt habe, bleibt unter uns, nicht wahr? Es ist ein Geheimnis. Wenn Sie wollen, können Sie es Ihren Eltern erzählen … Aber wenn Sie das tun, sagen Sie, dass ich die Frau nur verlassen habe, weil sie sich unwürdig aufgeführt hat. Einen Menschen, den ich sehr schätze, könnte ich niemals ohne gewichtigen Grund verlassen. Seit einiger Zeit fühlte ich mich nicht mehr richtig wohl bei ihr, das stimmt. Ich glaube, ich mochte sie nicht mehr so sehr. Ich dachte an eine andere Person, eine Person, die ich erst seit wenigen Wochen kenne. Mir war unbehaglich zumute, wenn ich daran dachte, dass diese Person in meiner Nähe war, ich aber nicht mit ihr sprechen konnte. Verstehen Sie, Claudia? Sie sind es, an die ich dachte …«
    Mit ausgestreckten Händen näherte er sich ihr und fasste sie an den Schultern. Claudia spürte, wie Paulinos Lippen ihr Gesicht streiften und ihren Mund suchten. Sie spürte seinen Tabakatem, die Lippen, die sie gierig verschlangen. Sie hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Als er sie losließ, sank sie erschöpft in den Sessel. Dann flüsterte sie, ohne ihn anzusehen:
    »Bitte lassen Sie mich gehen, Senhor Morais …«
    Paulino atmete tief aus, als hätte er sich unvermittelt von einem Druck befreit, und sagte:
    »Ich werde dich sehr glücklich machen, Claudia!«
    Dann öffnete er die Tür, rief nach dem Bürodiener und wies ihn an, Fräulein Claudias Mantel zu holen. Der Bürodiener war sein Vertrauensmann, in einem solchen Maße, dass er scheinbar nicht wahrnahm, wie verstört Maria Claudia war, und sich ebenso wenig darüber zu wundern schien, dass der Chef ihr in den Mantel half.
    Das war alles. Das war es, was Maria Claudia den Eltern nicht erzählt hatte. Sie hatte starke Kopfschmerzen und konnte nicht einschlafen. Sie lag auf dem Rücken, die Arme angewinkelt, die Hände im Nacken, und dachte nach. Was Paulino wollte, war offenkundig. Unmöglich, die Augen davor zu verschließen. Sie befand sich noch auf der Ebene des »Scheins«, aber schon so nahe am »Sein« wie eine Stunde an der nächsten. Sie wusste, dass sie nicht so reagiert hatte, wie sie hätte reagieren müssen, nicht nur während des bewussten Gesprächs, sondern schon seit dem ersten Tag, seit dem Augenblick, als sie sich in Lídias Wohnung allein mit Paulino befunden und gemerkt hatte, wie er sie mit begehrlichen Blicken entkleidete. Sie wusste, dass sie an dem Bruch mit Lídia nur unschuldig war, was den Brief betraf. Sie wusste, dass sie in diese Situation nicht durch das geraten war, was sie getan hatte, sondern durch das, was sie nicht getan hatte. Das alles war ihr klar. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie Lídias Platz einnehmen wollte. Denn auf diese Frage lief das Ganze hinaus, ob sie es wollte oder nicht. Hätte sie alles den Eltern erzählt, würde sie schon am nächsten Tag nicht mehr ins Büro gehen. Aber sie hatte es nicht erzählen wollen. Und warum hatte sie es nicht erzählt? Weil sie die Sache selbständig klären wollte? Ihre Selbständigkeit hatte sie in diese Situation gebracht. Hielt sie sich zurück, weil sie unabhängig sein wollte? Und das um welchen Preis?
    Schon seit ein paar Sekunden vernahm Maria Claudia im Stockwerk unter ihr das Geräusch von Schuhabsätzen. Anfangs hatte sie es nicht beachtet, doch das Geräusch hielt an und ließ sie schließlich in ihren Überlegungen innehalten. Sie wurde neugierig. Plötzlich hörte sie, wie die Wohnungstür geöffnet und dann abgeschlossen wurde und wie – nach kurzer Stille – eine Person die Treppe

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