Clarissa - Wo der Himmel brennt
frisches Wasser hinstellte. »Morgen ist ein besonderer Tag für mich«, sagte sie zu Smoky. »Alex und ich heiraten in der Kirche. Da ist die ganze Stadt auf den Beinen, und es gibt eine große Party. Erschrick nicht, wenn es ein bisschen lauter wird, hörst du?«
Im Haus zog Clarissa ihre Winterkleidung aus und schlüpfte in den bequemen Hausmantel, den Mary Redfeather ihr geliehen hatte. Allerdings nur, solange sie sich den Wildeintopf und den Kräutertee schmecken ließ. Nach dem Essen bestand die Wirtin darauf, sie in ihrem neuen Brautkleid zu sehen. Sie zog es in ihrem Zimmer an, betrachtete sich minutenlang im Spiegel und zupfte nervös an dem verzierten Kragen, bevor sie ins Wohnzimmer hinabstieg. Außer ihr wohnten keine Gäste in der Pension, und die Wirtin war nicht verheiratet. »Wenn du lachst, rede ich kein Wort mehr mit dir«, drohte sie schon, bevor sie unten war.
Mary Redfeather dachte nicht daran, sie auszulachen. Im Gegenteil, als Clarissa den Raum betrat, schlug sie beeindruckt die Hände vor den Mund und staunte: »Wunderschön! Du siehst wunderschön aus! Das Kleid ist einfach himmlisch! Die Leute werden hingerissen sein, wenn du morgen in der Kirche erscheinst, und Alex … Er wird dich noch mehr lieben.«
»Meinst du wirklich?« Sie strich nervös die kostbare Seide glatt. »Ist es nicht zu protzig? Weiße Kleider tragen sonst nur Töchter angesehener Familien und Prinzessinnen. Vielleicht hätte man die Spitze am Kragen weglassen sollen? Mit dem Schleier wird es vielleicht ein bisschen viel.«
»Unsinn! Das Kleid ist genau richtig. Alle Frauen werden dich beneiden, wenn sie dich morgen in der Kirche sehen. Du hast dir das Weiß verdient! Wie gern hätte ich in einem solchen Kleid geheiratet, aber mein Jacky glaubte weder an Gott noch an die Geister seines Stammes und wurde schon nervös, wenn er eine Glocke läuten hörte. Er legte mir am Lagerfeuer eine Decke um die Schultern und murmelte irgendwas, und damit hatte es sich. Damit waren wir nach dem Recht unseres Stammes verheiratet. Vielleicht hat ihn Gott deshalb so früh zu sich gerufen. Wahrscheinlich hat er ihn gleich in die Hölle weitergeschickt.«
»Und du meinst wirklich, ich kann so gehen?«, fragte Clarissa.
»Wenn du die Stiefel weglässt und stattdessen die neuen weißen Schuhe anziehst, die mit dem letzten Schiff gekommen sind«, erwiderte sie grinsend.
Obwohl sie müde von der langen Fahrt war, und ihr ein anstrengender Tag bevorstand, lag Clarissa an diesem Abend noch lange wach. Eine Weile las sie in dem Buffalo-Bill-Heftchen, das ebenfalls mit der ersten Post gekommen war, leichte Kost, die ihr sonst immer beim Einschlafen half, doch kaum hatte sie das Licht gelöscht, wälzte sie sich unruhig von einer Seite auf die andere, und versuchte vergeblich, sich in einen Traum zu flüchten. Stattdessen drang der Lärm aus dem Saloon an ihre Ohren, das Hämmern des mechanischen Klaviers, das Lachen der Männer, das Klirren der Gläser. »So ist es bei uns üblich«, hatte ihr Mary Redfeather erklärt, »der Mann tobt sich noch mal richtig aus, bevor er in den Hafen der Ehe einläuft, auch wenn er sein Jawort schon vor einem Friedensrichter gegeben hat.« Ihre Augen blitzten. »Aber keine Bange, wir haben ein Auge auf Alex, und die leichten Mädchen haben strenge Anweisung, einen großen Bogen um ihn zu machen. Mehr als ein Tänzchen ist nicht drin. Und sobald er genug getrunken hat, schließt der Wirt seine Flaschen in einen Schrank und treibt ihn zur Not mit der Schrotflinte auf sein Zimmer.«
Clarissa stand auf und trat ans Fenster. Es waren keine Eisblumen mehr auf den Scheiben, dazu war es nicht mehr kalt genug, und sie konnte auf die Hauptstraße und bis zum Hotel sehen, wo sich im Erdgeschoss der Saloon befand. Vor dem Eingang hingen zahlreiche Lampions und warfen bunte Lichter auf den schmutzigen Schnee, ein sicheres Zeichen dafür, dass ein besonderer Tag bevorstand, denn sonst holte der Chinese, der die andere Hälfte des Hotels besaß, die Lampions nur am chinesischen Neujahrstag aus der Kiste. Die Tür klappte auf, und ein Mann torkelte heraus, lief einige Schritte singend über den Gehsteig und stürzte in den Schnee. In einem der Wohnhäuser ging ein Fenster auf, und eine schrille Frauenstimme rief: »Komm du mir heute Nacht nach Hause! Ich hab die Nase endgültig voll!«
Edward Joscelyn, der Besitzer des Mietstalls, und seine Frau. Die beiden stritten schon seit Monaten, dachten aber gar nicht daran, sich zu
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