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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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trennen. Genauso wenig wie der alte Mann, der nach ihm aus dem Saloon wankte und sich an einem Telegrafenmast festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er war mit der Tochter eines Häuptlings verheiratet, die das Ansehen des Stammes in Verruf bringen würde, falls sie sich von ihm trennte. »Ich hoffe, du liegst schon im Bett, Alex«, flüsterte sie. »Wäre doch peinlich, wenn du morgen einen Kater hättest und den Ring nicht finden würdest.«
    Aus der Ferne drang das Heulen eines Wolfes herüber. Sie blickte über die Häuser hinweg zu den bewaldeten Hängen des Spokeshut Mountain empor und glaubte wieder, die gelben Augen ihres vierbeinigen Freundes zu erblicken, ihres Schutzgeistes, wie die Indianer behaupteten; allerdings leuchteten sie diesmal weder dankbar noch besonders freundlich in der Dunkelheit. Sie wischte ihren verdunsteten Atem von der Scheibe und blickte genauer hin, bis sie die Umrisse des Wolfes deutlich sehen konnte.
    »Bones«, erkannte sie ihn sofort. Er stand oben auf einem Hügelkamm. »Du bist es tatsächlich! Was willst du?«
    Der Wolf antwortete mit einem kräftigen Heulen, das wie eine Warnung klang. Er lief einige Schritte, kehrte zurück und entfernte sich erneut. Als wollte er sie auffordern, ihm aus der Stadt zu folgen. Er blieb stehen und starrte sie lange an, schien darauf zu warten, dass sie das Haus verließ, und gebärdete sich plötzlich so nervös, als wäre der Lauf eines Gewehrs auf ihn gerichtet. Wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte, drehte er sich um die eigene Achse und suchte nach einem Fluchtweg, blieb plötzlich wieder stehen und fixierte sie mit seinem stechenden Blick. »Komm mit mir!«, signalisierte ihr das Funkeln in seinen Augen. »Schnell! Du schwebst in großer Gefahr!«
    Sie glaubte sich in einem Albtraum und schloss die Augen, vertrieb den Schwindel, den sie beim Anblick des nervösen Wolfes empfunden hatte, und öffnete sie zögernd wieder. Bones war verschwunden, als wäre er niemals da gewesen. Sie schalt sich eine Närrin, weil sie einem Albtraum aufgesessen war, kehrte erschöpft in ihr Bett zurück und war wenig später eingeschlafen.

2
    Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen zum Fenster hereinfielen, wachte sie auf. Sie starrte verwirrt zur Decke empor und brauchte eine Weile, um sich von den düsteren Träumen der Nacht zu lösen. Oder hatte sie den Wolf wirklich gesehen? Wollte er sie mit seinem durchdringenden Blick vor einem Unglück warnen?
    An diesem Morgen war es ihr unmöglich, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, nicht einmal ihre Umgebung erkannte sie auf Anhieb. Erst als sie ihre Decken zurückschob und sich aufsetzte, wurde ihr bewusst, dass sie sich in der Pension von Mary Redfeather befand und mit der aufgehenden Sonne einer der wichtigsten Tage ihres Lebens begann.
    Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Alex und sie hatten den Termin immer wieder verschoben, zuerst aus Angst, Frank Whittler könnte auf sie aufmerksam werden und seine Männer auf sie hetzen, dann wegen des heißen Sommers oder des strengen Winters, oder weil sie einfach noch nicht bereit für die feierliche Zeremonie waren.
    Jetzt hatten sie sich endlich dazu entschlossen, und der begeisterte Zuspruch ihrer neuen Freunde und Bekannten in Port Essington zeigte ihnen, dass sie das Richtige getan hatten. Ohne kirchlichen Segen war man auch in der kanadischen Wildnis nur ein halber Mensch.
    Dennoch blieb ihre Freude verhalten. Es gelang ihr nicht, die erneute Begegnung mit Bones aus ihren Gedanken zu verbannen, und die Vorstellung, seine Warnung könnte ihrer Hochzeit gegolten haben, einer drohenden Gefahr, die auf sie in der Kirche oder auf der anschließenden Party wartete, ließ sie so nervös werden, dass sie zu zittern begann. Sie schob es auf die Kälte, die sogar durch das geschlossene Fenster in den Raum drang, und schlüpfte in den Hausmantel. Am frühen Morgen war es immer noch empfindlich kalt.
    Barfuß trat sie ans Fenster und blickte auf die Hauptstraße hinab. Die Sonne kroch bereits über den Spokeshute Mountain und die vorgelagerten Inseln und tauchte die Häuser in orangefarbenes Zwielicht, das ihren Fassaden zumindest für ein paar Minuten das verwitterte Aussehen nahm und selbst den schmutzigen Schnee verführerisch aussehen ließ. Wie eine Frau, die ihr verhärmtes Gesicht unter der Schminke versteckte, hatte ihre Freundin mal gesagt. Wie viele Indianerinnen hatte sie ein Faible für blumige

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