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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition)
Autoren: Régis Jauffret
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Hand auf. Wenn sie Martin bat, sie abzulösen, kicherte er auf dem Gang und drehte der Tür den Rücken zu.
    ,,Bitte!“
    Er zerrte Roman ins Zimmer, Angelika begnügte sich mit dessen kleinen Händen, sie schienen wirkungsvoller zu sein als ihre eigenen. Petra schloss den Mund, und in ihrem Todeskampf sah sie plötzlich so aus, als würde sie schlafen.
    Fritzl kam jeden zweiten Tag. Er aß weder noch trank er etwas. Ständig hielt er sich ein weißes Baumwolltaschentuch vors Gesicht. Er betrat kurz Petras Zimmer, dann stürzte er gleich wieder hinaus, als stände der Raum in Flammen.
    ,,Du musst sie hinaufbringen. Zu einem Arzt, sie muss untersucht werden.“
    ,,Ärzte irren sich oft, und ihre Fehler bringen viele Leute ums Leben.“
    Angelika wurde wütend. Fritzl versuchte zu flüchten, aber sie holte ihn ein und grub ihre Nägel in seinen Hals, damit er die Luke nicht öffnen konnte. Er schob sie sanft zurück, er schien zu bedrückt zu sein, um die Hand gegen sie zu erheben.
    ,,Du musst sie baden.“
    Dieses seit dem Tod des Babys vergessene Rezept war ihm plötzlich wieder eingefallen. Damit konnte er die Mutter eine Zeit lang beschwichtigen.
    Sie trugen Petra in die Badewanne. Ein heißes Bad, ein kaltes Bad. Sie schütteten eine Tüte grobes Salz ins Wasser, um aus der Badewanne ein kleines Meer zu machen. Petra, ein großes ausgehungertes Baby, wurde auf den Tisch gelegt, abgetrocknet und mit alten Tüchern bedeckt.
    Man legte sie wieder in das frisch bezogene Bett – Roman hatte in der Zwischenzeit die Bettwäsche gewechselt.
    ,,Morgen wird sie sich schon besser fühlen.“
    Angelika ließ Fritzl gehen.
    Am Morgen sah Petra aus wie eine Leiche. Ihr Körper konnte sich nicht mehr mit Sauerstoff versorgen, die Luft des Kellers erdrückte sie langsam. Ein Raum wie einer dieser Plastikbeutel mit Helium, den man Sterbewilligen in skandinavischen Ländern gibt, damit sie sanft entschlafen können.
    Petra erstickte.

Fritzl hatte beschlossen, dass die Zeit Petras Ärztin sein solle. Die Pflege, die Angelika ihr angedeihen ließ, lenkte sie von dem Stress ab – eine Heulsuse, die vor dem möglichen Tod ihrer Familie zittert. Fritzl nahm nur seinen eigenen Tod ernst – Angst, ins Nichts zu kommen, in diesen dunklen Schrank, in den man jene sperrt, die gelebt haben, um sie für ihre Existenz zu bestrafen.
    Fritzl beschloss, Amstetten für ein paar Tage zu verlassen. Eine Reise nach Marrakesch in die Sonne, um den grauen Winter und das gelbe Licht des Kellers zu vergessen. Vor seiner Abreise ging er hinunter, brachte Lebensmittel und trug drei Müllsäcke hinauf, schwer wie tote Kinder.
    ,,Sie wird immer heißer und sie schlottert.“
    ,,Kaltes Fieber.“
    Sein Lachen. Angelika hielt ihn am Arm fest. Sie suchte in ihrem Inneren einen Rest Charme. Sie ging auf die Knie, um ihn anzuflehen, ihn zu erweichen, sein Glied zu nehmen. Die Hoffnung, seine Gleichgültigkeit zu bezwingen, indem sie ihre Macht als Geliebte einsetzte. Er stieß das ehemalige Objekt seiner Begierde zurück.
    Der große Platz Djema’a el-fna, Kutschfahrten, Abendessen unter freiem Himmel trotz der kühlen Nächte. Kauf von Kunstseidetüchern, Siesta unter dem trägen Rotorblatt des Ventilators im Hotelzimmer. Träume von Geld. Vergessen war seine nächste Pleite, die fixe Idee, die Baisse des österreichischen Immobilienmarktes zu nutzen und Gebäude zu Spottpreisen aufzukaufen. Und die Freude, er selbst zu sein, dieses wundervolle Wesen, das einen Funkenschwarm in der kosmischen Leere zurücklassen würde.
    Rückkehr. Anneliese war nervös, schlecht gelaunt, argwöhnisch.
    ,,Ich habe Kinder schreien hören.“
    ,,Was für Kinder?“
    Sie wurde rot.
    ,,Kinder eben.“
    ,,Das wird das Echo einer Schule gewesen sein.“
    Sie schniefte, als hätte er sie geschlagen.
    ,,Sicherlich.“
    ,,Du solltest eine Tablette nehmen.“
    Fritzl hatte einen Vorrat an Anxiolytika, er ließ sie sich von seinem Arzt zusammen mit den Medikamenten verschreiben, die seinen Schwanz hart machten wie eine Krücke. Anneliese wurde mit dem Alter unruhig, die Benzodiazepine würden ihr Rausch und Ruhe schenken. Seit einem Treppensturz zu Neujahr hatte sie nicht mehr getrunken.
    ,,Du hättest nicht so viel Wein trinken sollen.“
    Er hatte zwei Pillen geholt und sie ihr in den Mund gestopft.
    ,,Trink ein Glas Wasser, anstatt zu husten.“
    Selig hatte er sie auf dem Sofa liegen lassen und sich geärgert, dass er noch immer das Überwachungssystem nicht angebracht hatte, mit
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