Claustria (German Edition)
weiterkämpfen konnte, damit die Wanne aufging wie ein Soufflé.
Diese pharaonischen Pläne putschten Petra auf. Aber das Fieber, der Schüttelfrost, die Entkräftung gewannen am Ende die Oberhand über ihren Willen, weiterhin an der allgemeinen Hysterie teilzuhaben. Eingehüllt in löchrige, alte Pullover, legte sie sich unter einen Haufen Decken. Immer dieses Schwitzen, der heiße Kopf, Füße und Hände eiskalt. Vor dieser Kälte konnte sie in ihrem Schwitzbad unter den Decken keiner bewahren.
Sie rief nach Roman. Eine Stimme, schwach wie ein Säuseln, das seinen Weg in die Ohren fand. Roman schlug der Blüte und dem Ruhm des Kellervölkchens die Tür vor der Nase zu und kam angelaufen. Petra hatte Durst. Er brachte ihr ein Glas kaltes Wasser, dann noch eins und schließlich die Karaffe, die er randvoll mit Eiswürfeln gefüllt hatte.
,,Jetzt friere ich.“
Angelika sah nicht einmal, wie er Wasser auf der Kochplatte erhitzte, sich fast verbrühte und beinahe vom Sessel fiel, als er den Topf hochheben wollte. Er brachte Petra einen dampfenden Steingutbecher, in dem ein Teebeutel zog.
Petra hatte Mühe, sich im Bett aufzusetzen. Stöhnend schloss sie die Augen. Roman führte ihr den Becher an die Lippen, sie schloss plötzlich den Mund, und als ihr der heiße Tee übers Kinn lief, entwich ihr ein leiser Schrei. Roman holte eine Kelle, einen Suppenlöffel, einen Kaffeelöffel, einen alten Strohhalm, den seine Mutter ordentlich desinfiziert hatte und der aus der Zeit stammte, als Fritzl ihr einmal einen Himbeer-Milchshake mitgebracht hatte.
Petra schluckte, schluckte nicht mehr. Sie verfiel in Trance, aus der Roman sie nicht aufwecken konnte. Er legte sich neben sie und murmelte in diesem Idiom, das keiner außer den beiden sprach. Sie brabbelte, aber es waren keine Wörter. Keuchen nach einem Räuspern, schmerzerfüllte Seufzer aus ihrem weit offenen Mund, der nach Luft schnappte.
,,Glaubst du, du wirst sterben?“
Eine friedvolle Frage. Man stirbt nicht wirklich. Man will sich für einen Moment zurückziehen. Man reist in ein anderes Land. Man besucht das Paradies, man geht durch die rauchende Hölle wie durch die Wiener Verkehrsstaus, deren Beseitigung seit dem Jahrtausendwechsel eine nationale Angelegenheit ist. Man ruht sich in einem Bus aus, man blickt durch die Scheiben wie durch große, stumme Bildschirme auf die Stadt:
,,Wie lange wirst du noch leben?“
Sie wusste es nicht. Unentschlossen hing sie über dem Abgrund, zu entkräftet, um davonzufliegen.
,,Geht es dir schlecht?“
Die Lippen zogen sich über den Zähnen zurück, einige weiß, andere faulig und mit Karieslöchern.
,,Willst du es mir nicht sagen?“
Sie sagte nichts, dabei hatte sie ihm doch immer geantwortet.
Roman hatte Angst, er wich von dem Bett zurück, hockte sich auf den Gang. Dann ging er in die Küche. Mutter und Sohn waren vollkommen im Delirium. Gelächter, Geschrei. Der Stift der Mutter schien die neue Kellerverfassung in die Tiefen der Blätter des Schulhefts einzumeißeln.
,,Petra geht es schlecht.“
Er schrie nicht laut genug, um den Lärm in diesem Irrenhaus zu durchdringen.
,,Schlecht, schlecht!“
Er drückte den Arm seiner Mutter. Sie verscheuchte ihn wie eine Mücke, die man mit einem Schlag zerquetscht. Und Roman, auf allen vieren, wurde wieder so verrückt wie die anderen. Mit ausgestreckten Armen sprang er in die Luft, um einen der Adler zu fangen, mit denen er den Himmel des Landes füllen wollte, damit sie die wilden Schafe jagten, die an der Grenze weideten. Eine Grenze, die so weit zurückwich, dass man keine Lust mehr hatte, eine lange Reise zu unternehmen, um sich dort das Fleisch fürs Abendessen zu besorgen.
Ungläubig warf Angelika ihm Blicke zu, aber nicht streng genug, als dass er nicht hoffen konnte, mit seinem Gefuchtel ein paar Amseln oder Drosseln vom Himmel zu schlagen, aus denen sie ein Frikassee kochen könnte.
Man konnte meinen, Martin und seine Mutter wären in ein Fass voller Ampere und Volt und Adrenalin gefallen und wie Schachtelteufel wieder herausgeschnellt. Roman zeichnete Räder, Boote, Autos mit großen Elefantenfüßen, Tiger und Männchen in die Luft. Sie lösten sich auf und hinterließen beständige Schlieren im Nichts. Er machte Pause und ritt seinem Bruder hinterher, der durch die umschlossene Prärie galoppierte.
Der Keller war außer sich. Aber wenn die Herzen nicht mehr schlagen konnten und drohten, aus der Brust zu springen und abzuhauen, folgten Ruheperioden, in
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