Clean Team
Als ob sie in der Lage wäre, einen Gedanken überhaupt lang genug zu verfolgen, um ein echtes Gefühl der Sorge zu entwickeln. Nicht, dass ich sie in ein schlechtes Licht rücken will oder so. Ich meine, immerhin ist sie meine Mom. Aber vermutlich hat sie seit 1968 nichts mehr so richtig aus ihrem dauerrelaxten Zustand gerissen. Und wie sollte etwas, das ich sage oder tue, diese Tendenz beeinflussen?
Chev sieht das anders. Was mir in gewissem Sinn einleuchtet. Fehlt dir was im Leben, schätzt du dessen Wert automatisch viel höher ein, als wenn du es besitzt. Klar, ich liebe meine Mom. Aber Chev liebt sie noch ein bisschen mehr. Was nicht so krank ist, wie es sich vielleicht anhört.
- Hey, Mom
- Wer ist dran?
- Ich bin’s, Mom.
- Web? Bist du’s?
- Ja, Mom.
- Cool. Das ist cool.
Es entstand eine Pause. Eine ausgedehnte Pause. Was bedeutete, dass sie entweder:
a. darauf wartete, dass ich ihr den Grund für meinen Anruf nannte oder
b. sie so dicht war, dass sie vergessen hatte, wer in der Leitung war.
- Also, Mom.
- Wer ist dran?
Ein ziemlich zuverlässiger Indikator für Antwort B.
- Ich bin’s, Mom. Web.
- Heeey, Web. Wie geht’s dir, Baby?
- Alles klar so weit. Und selbst?
- Bestens, bestens. Die Brombeeren gedeihen wirklich prächtig.
- Freut mich zu hören.
- Ja. Ich kann dir ein paar Körbchen schicken. Oder ein paar Kuchen. Soll ich dir ein paar Kuchen schicken?
Jedesmal wenn ich mit Theodora Goodhue von der Wild Blackberry Pie Farm rede, verspricht sie mir eine Ladung ihrer berühmten, biodynamischen, buschgereiften Brombeeren zu schicken. Oder ein paar ihrer nicht minder berühmten Kuchen. Doch dann legt sie auf, und weil ihr Kurzzeitgedächtnis durch den Konsum ihres noch weit berühmteren, selbstangebauten Wild Blackberry Cannabis
in Mitleidenschaft gezogen ist, vergisst sie es im gleichen Moment wieder.
- Nein, schon in Ordnung. Ich hab noch was von der letzten Ladung, die du mir geschickt hast.
- Das wird wirklich eine besondere Ernte dieses Jahr.
Ich hege keine Illusionen darüber, von welcher Ernte sie spricht. Irgendwann ist Mom ausgestiegen und nach Oregon gezogen, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen – einen in einer langen Reihe von Lebensträumen – und eine biodynamische Beerenfarm zu gründen. Aber erst, als sie auf einem Teil ihres Landes Samen kultivierte, die ihr ein Freund aus Upper Humboldt County überlassen hatte, begann ihr Unternehmen zu florieren. Wobei der Aspekt des finanziellen Profits sie bei der Geschichte am wenigsten interessiert.
- Da bin ich mir sicher. Hey, ich muss leider gleich wieder los, wollte dich aber vorher kurz was fragen.
- Lass dich nicht aufhalten. Wir können ja später reden.
- Schon klar, aber ich muss dich vorher noch was fragen.
- Sicher, Baby. Schon in Ordnung.
- Chev hatte einen kleinen Unfall, nur ein Blechschaden, und er traut sich nicht selbst zu fragen. Aber da ich weiß, dass du in solchen Fällen gern aushilfst, wollte ich dich bitten, ob du nicht was zu den Reparaturen beisteuern kannst.
Ich hockte am Küchentisch, spielte mit dem Telefonkabel und starrte auf die Mahnungen, die mit Magneten an den Kühlschrank geheftet waren. Mein zu zahlender Anteil war jeweils fett mit Rotstift umkringelt.
Mom atmete tief ein und stieß dann langsam die Luft aus. Ohne Zweifel schwebte jetzt eine dichte Rauchwolke an ihre Zimmerdecke.
- Wie geht’s Chev? Ist er okay?
- Ja, mit ihm ist alles in Ordnung. Aber sein Pick-up, du weißt schon.
- Ja, ich weiß. Ich weiß, Webster.
Webster. Diesen Namen hat mein Dad für mich ausgesucht. Gegen ihren Willen. Sie wollte mich Fillmore nennen. Nicht wegen des Präsidenten, bewahre, sondern wegen des Rockschuppens, in dem sie sich kennengelernt hatten. Vermutlich sollte der Name sie daran erinnern, dass sie sich überhaupt irgendwann mal begegnet waren.
Scheiße.
- Also, wenn du helfen kannst, das würde echt … helfen.
- Webster.
- Ja, Mom.
- Brauchst du Geld?
- Also, na ja, Geld kann ich natürlich immer brauchen, aber deswegen ruf ich nicht an. Wie gesagt, Chev ist derjenige …
- Webster Fillmore Goodhue.
Riesenscheiße.
- Ja?
- Brauchst du Geld?
So zugekifft, wie eine sechzigjährige, Grateful Dead hörende, beerenzüchtende, kommunengründende, esoterische Yogi-Hanffarmerin nur sein konnte, durchschaute
mich Mom trotzdem immer noch auf Anhieb. Wahrscheinlich war das Teil der Wissenschaft, eine Mom zu
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