Cleo
Kind in einem Nationalpark davonspaziert war und seither nie wieder gesehen wurde. Noch heute, nach zehn Jahren seien sie nicht darüber hinweg, schrieben sie, aber sie hätten es überlebt. Sie waren Beweis dafür, dass Eltern, die ihr Kind auf tragische Weise verloren haben – wobei es immer tragisch ist –, weiterleben konnten.
Mutiger wäre es natürlich, wenn wir noch weiter Richtung Norden fuhren, bis wir die gleißenden Neonlichter von Auckland erreichten, einer richtig großen Stadt, wo ich mir eine Stelle bei einer Zeitung oder Zeitschrift suchen könnte. Allerdings würde leider nur ein Wahnsinniger eine trauernde, völlig erschöpfte Alleinerziehende anstellen.
Vorsichtig parkte ich das Auto dicht an dem mit Farn überwucherten Lehmabbruch oberhalb des Ziegenpfads. Unter uns reckten sich die grauen Bürotürme der Stadt in die Höhe, die Fenster glänzten in der Sonne. In einem davon saß die Frau, die Sam auf dem Rückweg von der Mittagspause getötet hatte. Ich fragte mich, wie sie aussah und was sie gerade machte. Holte sie einen Aktenordner aus dem Schrank, telefonierte sie? Wellington war eine so kleine Stadt, dass wir bestimmt irgendwelche gemeinsamen Bekannten hatten. Niemand hatte zugegeben, dass er sie kannte. Wahrscheinlich ahnten sie, dass sie ihres Lebens nicht mehr sicher wäre, wenn ich sie zu fassen kriegte. Bald musste sie vor Gericht erscheinen und gestehen, dass sie betrunken gewesen oder zu schnell gefahren war, und dann würde sie ihre gerechte Strafe erhalten.
Hinter den Bürotürmen und über die Hügel hinweg anLenas Haus vorbei lag der Friedhof, auf dem Sam begraben war. Noch ein Stück weiter nutzten Familien die letzten Sommertage und vergnügten sich am Strand. Die Mütter breiteten Decken über den Kies, gossen Orangensaft ein und versicherten ihren Kindern, dass das Wasser bestimmt nicht so kalt war, wie es aussah. Jungen stürmten in die Brandung, ihre Haut leuchtete hell zwischen den Wellen. Einige von ihnen waren Freunde von Sam. Ich wollte sie und ihre Mütter nie mehr wiedersehen.
Der Südwind kitzelte in meiner Nase. Noch vor Kurzem hatte ich den Gedanken genossen, in einem Haus auf der Verwerfungslinie zu wohnen, das ich zusammen mit meiner Ehe auf Vordermann brachte. Plötzlich erschien es mir unerträglich.
Rob kletterte aus dem Auto, er wollte Cleo ihr neues Bett zeigen. Ich folgte ihm, beladen mit Katzenstreu und Plastikklo. Auf dem Weg versuchte ich mich mental darauf vorzubereiten, welch grausigen Anblick das Haus, das eine kleine Katze in Besitz genommen hatte, inzwischen wohl bieten mochte. Immerhin stand es noch und die Farbe an seinen Balken blätterte weiterhin in der Sonne langsam ab. Von der Katze war nichts zu sehen.
Als ich den Schlüssel umdrehte, hüpfte ein winziger Panther durch den Flur auf uns zu, den Schwanz wie ein Banner in die Höhe gereckt. Er gab fiepende Willkommensrufe von sich, von denen jeder mit einem noch höheren Ton endete: Wo wart ihr? Warum habt ihr so lange gebraucht? Habt ihr mir etwas mitgebracht? Cleo stellte sich auf die Hinterbeine, rieb das Kinn an unseren Händen und benutzte unsere Fingernägel kurz als Zahnseide. Ihr Schnurren sagte uns, dass alles vergessen und vergeben sei. Nun, da wir zurückgekommen waren, strahlte die Sonne wieder von einem leuchtendblauen Himmel herunter. Ich war wie verzaubert. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, sie wegzugeben? Wir brauchten sie fast so sehr wie sie uns.
Doch kaum schob ihr Rob das Leopardenfellbett hin, machte Cleo einen Buckel und streckte laut fauchend ihren Schwanz auf wie eine Flaschenbürste. Das Katzenbett musste so bedrohlich sein wie der Leopard, den es imitierte. Mit ausgefahrenen Krallen fiel sie es an und hieb mit den Hinterbeinen darauf ein, um dann blitzschnell unter dem Sofa zu verschwinden. Der Angriff erfolgte so schnell, dass der Gegner nicht zurückschlagen konnte.
Cleo kam erst wieder unter dem Sofa hervor, als ihr Feind sich in die Waschküche zurückgezogen hatte. Das war der Beginn eines lebenslangen Ringens mit dem Thema Bett, auch wenn uns das damals noch nicht klar war. Kaum war an diesem Tag das Katzenbett weg, schoss sie unter dem Sofa hervor und schlitterte ein Stück auf einer Plastiktüte, in die sie dann blitzschnell hineinkletterte. Nachdem sie sich in der Plastikhöhle etwas ausgeruht hatte, überfiel sie die Telefonschnur aus dem Hinterhalt und brachte sich in der Küche im Schrank mit den Töpfen in Sicherheit.
Unsere Katze stand
Weitere Kostenlose Bücher