Cleo
unserem vergangenen Leben in Verbindung brachte und nicht mit der surrealen Existenz, die wir jetzt erduldeten. Ein Tier ohne seine Einwilligung bei uns aufzunehmen, zeugte nicht gerade von einem intakten Familienleben. Abgesehen davon kam er aus einer Familie von Hundemenschen.
Unter Cleos wachsamem Blick packte Steve seinen Seesack aus. Sie erstellte offenbar ein Inventar seines Kleidervorrats, listete auf, was davon zu schwer war, um es wegzuschleppen. Sein Blick wanderte zu ihr. Ich wusste, was er dachte: Chaos.
Eines der vielen Dinge, in denen wir uns unterschieden, war unser Verhältnis zu Chaos. Ich fühlte mich immer schon in einem gewissen Durcheinander ganz wohl. Beim Anblick eines Stapels alten Papiers und längst vergessener Kleidungsstücke hat man manchmal die erstaunlichsten Einfälle. Das sage ich mir zumindest, wenn ich mal wieder keine Zeit habe, die Sachen zu ordnen, also eigentlich immer.
Steve dagegen hätte man für einen Absolventen der Zen-Schule für Ordnungsfanatiker halten können. Zu Beginn unserer Ehe gab ich mir alle Mühe, sein Bedürfnis nach einer makellosen Umgebung zu befriedigen. Immer wenn er von einer Woche auf See nach Hause kam, fegte ich vorher durchs Haus, staubte Sockelleisten ab, rückte Gardinen gerade und kämmte Teppichfransen. Ich war etwas langsam. Es dauerte Jahre, bis mir klar wurde, dass es egal war, wie sauber und aufgeräumt das Haus in meinen Augen wirkte, Steve würde es anders sehen. Wie ein Roboter vollzog er jedes Mal, wenn er nach Hause kam, dieselbe Prozedur, mochte ich mich vorher auch noch so angestrengt haben: Er jagte den Staubsauger durchs Haus, schrubbte die bereits eine halbe Stunde zuvor von mir geschrubbte Arbeitsplatte in der Küche und packte seinen Seesack aus. Staubsaugen war an diesem Tag wegen der nassen Teppichzotteln unmöglich gewesen, er musste sich also mit dem Zusammensuchen von Socken und Plastiktüten zufriedengeben.
Gerade als ich damit anfangen wollte, wie sehr Rob das Kätzchen mochte, verschwand Cleo in Steves Tasche, um gleich darauf mit einer schwarzen Socke zwischen den Zähnen wieder aufzutauchen und davonzuhuschen. Sie warf ihre Beute hoch in die Luft und hüpfte hinterher. Mitten in der Luft erwischte sie sie mit den Vorderpfoten und zischte davon, die Socke zwischen den Beinen hinter sich herschleifend.Als sie mit einem ihrer Hinterbeine darauftrat, wurde sie so abrupt gestoppt, dass sie einen Salto machte und auf dem Rücken landete. Ich hielt die Luft an. Das arme Wesen hatte sich bestimmt die Wirbelsäule gebrochen. Wir würden es zum Tierarzt bringen müssen. Es würde sich vor Schmerzen winden. Es gab vermutlich kein Heilmittel. Aber in aller Seelenruhe stand Cleo wieder auf, schnappte sich ihre Socke und raste davon.
Steve, der das Ganze ungerührt beobachtet hatte, marschierte auf der Suche nach seiner Socke hinterher. Normalerweise brauchten wir zwei Tage, bis wir uns wieder an seine Vorstellung von einem Haushalt gewöhnt hatten. Sein Ärger über meine Unfähigkeit, die Unterwäsche korrekt zusammenzulegen, traf auf meine Gereiztheit, dass er darauf bestand, die Töpfe zu kontrollieren, nachdem ich sie gespült hatte, um zu sehen, ob ich womöglich irgendwelche Essensreste am Rand übersehen hatte. Das unerwünschte Kätzchen würde ein harmonisches Familienleben noch schwieriger machen.
Irgendwo hatte ich gelesen, dass fünfundsiebzig Prozent der Ehen nach dem Tod eines Kindes in die Brüche gehen. Das wollte ich nicht so ohne Weiteres schlucken. Eine meiner Leidenschaften war es, Statistiken der Lüge zu überführen. Allerdings fing ich langsam an zu verstehen, warum so viele Beziehungen kaputtgingen.
Steve verspürte ebenso großen Schmerz wie ich, aber bei ihm drückte er sich anders aus, mehr nach innen. Ich trauerte schluchzend, heulend, anklagend, Trost fordernd. Seine Trauer verlief in geordneteren Bahnen und war weniger expressiv. Die Worte, die er sagte, waren so sorgfältig gesetzt wie die Tautropfen auf einer Orange auf dem Stillleben eines holländischen Meisters.
Steve war zwar imstande, all die Aufgaben zu erfüllen, die man von einem Mann erwartete – die Leiche identifizieren, das Gespräch mit der Polizei führen und bei der gerichtlichen Untersuchung erscheinen –, aber er war nicht fähig, mir einen Blick hinter die Mauer um sein Herz zu gestatten. Daran war ich zum Teil selbst schuld. Ich hätte ihn am Morgen nach dem Unfall nicht bitten dürfen, zu weinen aufzuhören. Sein
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