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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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Hause am Botanischen Garten vorbei, wo ich früher immer mit den Jungen Enten gefüttert hatte. Wenn sie wegen des schlechten Wetters tagelang das Haus nicht hatten verlassen können, besuchten wir am liebsten die Enten, damit sie ihre aufgestaute Energie loswerden konnten. Tiere, egal ob mit Federn oder mit Fell, taten ihrem Nervenkostüm einfach gut und machten sie ruhiger. Eine über das silberne Wasser gleitende braune Ente rückte unser Weltbild wieder zurecht und auf einmal schrumpften unsere Probleme auf normale Größe zusammen. Wenn wir den Ententeich verließen, waren wir alle drei gelassener. Im Frühling zählten wir die Entenküken,und jedes Mal waren es ein, zwei weniger als in der Woche zuvor. Aber man konnte unmöglich lange um sie trauern, nicht wenn die Tulpen blühten. Dann rannten die Jungen mit in der Sonne golden glänzenden Haaren zwischen Tulpenbeeten in allen Rot- und Gelbschattierungen herum.
    Ich fragte Rob, ob er Lust auf einen Abstecher zu den Enten hätte, aber er wollte unbedingt zurück zu Cleo. Ich hätte den Anblick der Vögel sowieso nicht ertragen. Und ich würde in diesem Jahr auch die Tulpen nicht besuchen. Sie würden für sich allein blühen müssen. In jeder Ecke von Wellington gab es herzzerreißende Erinnerungen an unser vergangenes Leben. Die Stadt war ein einziges Mausoleum.
    Aber unser Heim war nicht länger ein trostloser Rückzugsort von der Welt. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte das Kätzchen das Kommando übernommen und es in Cleos Reich umgewandelt, wo sie jeden Quadratzentimeter meiner Privatsphäre vereinnahmte, sich um meine Knöchel wickelte, die Rückenlehne meines Stuhls hochkrabbelte, wenn ich mich zum Kaffeetrinken hinsetzte, mir ins Bad folgte und auf meine Schenkel sprang, kaum dass ich mich auf die Klobrille hockte. Socken, Plastiktüten und all die Kollateralschäden der letzten Nacht warteten noch darauf, aufgeräumt und beseitigt zu werden. Dann sollte ich aus dem Telefonbuch einen Handwerker heraussuchen, der die Zugschnüre der Jalousien reparierte, wenn ich mir Erklärungen Steve gegenüber ersparen wollte. Nicht zu vergessen das Zerstörungswerk, das sie womöglich in unserer Abwesenheit angerichtet hatte.
    Vielleicht mussten wir gar nicht nach Hause zurück. Wir könnten einfach immer weiterfahren, bis wir auf die Autobahn kamen, die um den Hafen nach Norden führte. Ich könnte alles hinter mir lassen, das Haus, die Katze, die brüchigeEhe und die Freunde mit ihren quälenden Mitleidsausbrüchen. Wir würden aufs Land nach New Plymouth fahren, wo ich aufgewachsen war, und bei meiner Mutter unterkriechen – bis meine Mutter und ich uns nach ungefähr zwei Wochen gegenseitig in den Wahnsinn treiben würden. New Plymouth und ich schienen sowieso nicht mehr zusammenzupassen. Immer wenn ich zu Beerdigungen oder Geburtstagen zurückkehrte, stellten mir die Leute mit ziemlicher Sicherheit die gleichen zwei Fragen: »Was schreibst du gerade?« und »Wann fährst du wieder?« Die zweite war leichter zu beantworten als die erste. Ich hätte nicht gewusst, wie ich das, was ich schrieb, einordnen sollte. Es ging mir vor allem darum, Leuten, deren Leben ähnlich unvollkommen war wie meines, Geschichten von mir zu erzählen und gemeinsam darüber zu lachen. Die Leser meiner Kolumne waren wie Freunde für mich, die den Vorteil hatten, niemals plötzlich vor unserer Haustür aufzutauchen. In letzter Zeit waren sie ungeheuer verständnisvoll gewesen.
    Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, in meinen wöchentlichen Kolumnen über sehr persönliche Dinge aus unserem Leben zu berichten, dass es mir normal erschien, auch von Sams Tod zu sprechen. Sonst hätte ich nur so tun können, als wäre nichts passiert, um weiter amüsante Geschichten aus meinem Familienleben zu erzählen (unmöglich), oder ich hätte mich zurückziehen müssen. Als ich auf meinem Bett saß und über die Ereignisse dieses schrecklichen Tages schrieb, während meine Tränen auf die Reiseschreibmaschine fielen, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass mir daraus eine Quelle des Trostes erwachsen würde. Hunderte von Leuten schickten mir Briefe und Karten und bewiesen damit, zu welcher Herzensgröße völlig Fremde imstande waren. Ich erfuhr viel Mitgefühl in ihren Briefen,einige davon von Eltern, die wie ich ein Kind verloren hatten. So trug ich ständig ein sorgfältig getipptes Schreiben in meiner Handtasche mit mir herum. Es stammte von einem indischen Paar, dessen zweijähriges

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