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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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ständig unter Strom. Jeder Schatten und jeder Staubball, jede Einkaufsliste, ausrangierte Kordel und Küchengerätschaft war ein potenzieller Angreifer. Geräusche versetzten sie in höchste Alarmbereitschaft. Wenn eine Tür quietschte, zuckte sie zusammen. Sang in der Ferne ein Vogel, stellten sich ihr sämtliche Haare auf.
    Kein Strumpf im Haus war vor ihr sicher. Sie verschleppte sie aus Schlafzimmern, Schuhen und dem Wäschekorb, wobei sie sie mit Bedacht von ihren Partnern trennte, denn das machte sie verletzlicher. Dann wurde die Socke an der Spitze durchs Haus geschleift, in die Luft geworfen, unter Einsatzsämtlicher Krallen erbarmungslos gefoltert, bis sie sich tot stellte.
    Ich bekam Kopfweh. Das Chaos aufzuräumen hatte keinen Sinn. Dadurch erweiterte sich nur ihr Spielraum für neuen Unsinn.
    »Wage es bloß nicht!«, rief ich, als Cleo auf das Tischchen im Flur sprang und mit ihrer Pfote vorsichtig an eine große Vase mit einem Strauß Fingerhut klopfte. Sie sah zu mir hoch, ihre Schnurrhaare zuckten, dann duckte sie sich. Ich meinte es ernst. Sie senkte ihre Pfote und sprang gehorsam auf den Boden. Ich kann nicht behaupten, dass ich stolz darauf bin, aber in diesem Moment empfand ich tiefe Befriedigung. Ich fand es aufregend, dass ein fast wildes Tier meinem Befehl gehorchte. Größenwahnsinnige Lehrer müssen ähnliche Allmachtsfantasien haben. Zufrieden mit meinem Ausflug in die Diktatur schwebte ich in die Küche, um den Wasserkocher einzuschalten. Aber wie jeder Diktator war auch ich nur einem Wahn erlegen.
    Die Wände erzitterten von dem lauten Knall, den es gleich darauf tat. Ich rannte zurück in den Flur. Blumenstängel flogen durch die Luft, gefolgt von der Vase, aus der sich in einem hohen Bogen Wasser ergoss. Auf dem Wasserfall surfte eine Gestalt, alle viere weit von sich gestreckt, um das Gleichgewicht zu halten.
    Wie die meisten Naturkatastrophen war auch diese hier so schnell vorbei, wie sie begonnen hatte. Für das Haus, das noch vor Sekunden wie das ganz normale, wenn auch etwas schäbige Heim einer Familie ausgesehen hatte, hätten wir UN-Soforthilfe beantragen können. Cleo stakste durch die Flut und schüttelte nach jedem Schritt ihre Pfoten, so als wäre jeder einzelne Wassertropfen eine persönliche Beleidigung. Mit den flach angelegten Ohren und dem schlaff herabhängendenSchwanz hätte sie jedenfalls keinen Preis in einem Schönheitswettbewerb gewonnen. Und auch nicht den Ehrenpreis für gutes Betragen.
    Ich rief Rob zu, er solle ein paar Handtücher holen. Gemeinsam versuchten wir der Fluten Herr zu werden. Ich nahm mich des tropfnassen Teppichs an, während Rob die Katze abrubbelte. Zum ersten Mal überhaupt meinte ich so etwas wie Beschämung an ihr erkennen zu können.

 
    8
    H eilerin
    Eine Katze liebt von ganzem Herzen,
    aber nicht so, dass nichts für sie selbst übrig bleibt.
     
    Steve kam nach einer Woche auf See nach Hause. Während er aufräumte, stand ich an der Küchentheke und sah zu, wie eine Möwe den Aufwind an der Klippe nutzend vorbeiglitt. Der Vogel und ich befanden uns auf gleicher Augenhöhe. Er drehte die scharfe Spitze seines Schnabels zu mir. Finster funkelten wir uns an.
    Bis vor Kurzem hatte ich Vögel gemocht, und sie konnten stets auf mein Mitleid zählen. Als ich acht oder neun Jahre alt war, fand ich eine junge Drossel in unserem Vorgarten. Sie konnte nicht fliegen. Sylvester, unsere Katze, würde sie bestimmt erwischen, wenn ich nicht schnell etwas unternahm. Ich hob das kleine Federbündel hoch. Reglos hockte es mit seinen Reptilienfüßen auf meinen Fingern. Sein Schnabel und seine Krallen waren im Verhältnis zu seinem Körper zu groß. Eigentlich war es noch gar kein richtiger Vogel. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste das Küken mit ins Haus nehmen. Ich legte eine Schuhschachtel mit Watte aus. In den Deckel machte ich mit einer Stricknadel Löcher. Begierig sperrte die kleine Drossel den Schnabel auf, als ich ihr mit einer Pipette Zuckerwasser einflößte. Ich schloss den Deckel, überzeugt, dass der Vogel über Nacht sterben würde. Die Schachtel zwitscherte. Kein Angstschrei. Nur ein Zwitschern. Die ganze Nacht stand die Schachtelauf meinem Nachttischchen. Ich fürchtete mich vor dem, was mich am nächsten Morgen darin erwarten würde. Aber als ich aus dem Bett kletterte und unter den Deckel sah, saß der Vogel aufrecht da und sah mich mit erwartungsvoll glänzenden Augen an. Schnell schloss ich den Deckel und trug die Schachtel

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