Club Suizid: Ein lustiger Roman über ein weniger lustiges Thema (German Edition)
war? Ich entschied nein, nicht wirklich. Alles war gut so, wie es war.
„ Dank sei den Menschen, die diesen Felsen hier hergebracht haben“, brummte ich. „Oder glaubst du, der war schon immer hier?“
„ Eher nicht. Ich glaube, hier wurde mal ein Film gedreht. Zwei Schiffbrüchige, Kinder, die langsam zu Erwachsenen werden und sich hier lieben. Kennst du den?“
„ Nee, ich kenne nur den Film mit Tom Hanks. Aber der war alleine, der hatte nur einen Ball zum Reden. Da hatten es die Kinder schon besser!“
Aber wir hatten es auch ziemlich gut. So gut, dass mir meine Deutschlehrerin, Frau Knorr, einfiel. In ihrer Klasse hatten wir uns durch den zweiten Teil von Faust gequält und darin kam die einzige Textstelle vor, an die ich mich immer noch nach so vielen Jahren erinnern konnte:
„Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“ Ich hatte es laut gesagt, und damit sich das nicht ganz so doof anhörte, fügte ich noch an, dass das ein Zitat von Goethe war.
„ Ja, aber weißt du auch, wie es weitergeht?“
„ Äh, nicht richtig. Faust ist auf der Suche nach dem perfekten Moment und der Teufel soll ihm dabei helfen. Aber das ist er doch, jetzt und hier, der perfekte Moment, findest du nicht?“
Devi fand das auch und wir dehnten den perfekten Moment noch weiter aus. Schließlich kam Devi doch wieder zur Literatur zurück.
„ Faust will den perfekten Momenten gar nicht finden. Sonst, so sagt er wörtlich, ‚magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn, dann mag die Totenglocke schallen, es sei die Zeit für mich vorbei!‘“
„ Ja, stimmt, jetzt fällt‘s mir wieder ein. Aber ich habe das schon damals nicht verstanden. Im Moment, wo Faust wirklich glücklich ist, will er sterben? Wie doof ist das denn? Das ergibt doch gar keinen Sinn. Jetzt, in diesem Moment, bin ich glücklich. Ich glaube nicht, dass ich jemals so glücklich war, wie eben jetzt. Und ich will ganz bestimmt nicht zu Grunde gehen!“
Devi sah mir tief in die Augen. „Goethe geht es doch gar nicht ums Glück. Es geht ihm um die Suche, ums Streben. Das wahre Unglück ist der Stillstand.“
Plötzlich wollte ich nicht mehr philosophieren. Ich wollte, dass Devi das Glück, das ich empfand, teilte. „Aber wenn du zu Hause in deiner Wohnung sitzt und aus Angst vor den Menschen das Haus nicht verlässt, ist das kein Stillstand?“
„ Ja, schon. Ich kann trotzdem nicht anders.“
„ Aber du bist doch hier. Ist das nicht der Beweis, dass du es kannst!“
Devi antwortete nicht. Ich glaube, jetzt bereute sie auch, dass sie mit dem Philosophieren angefangen hatte. Doch irgendwie konnte ich jetzt nicht mehr aufhören, ich wollte eine Reaktion von ihr. Ich wollte, dass sie zugab, dass sie ihre Phobien überwinden könnte. „Hier scheint dir alles so einfach zu fallen. Warum geht das zu Hause nicht?“
„ Weil du auch hier bist?“ Das war keine Antwort, sondern eine Frage. Allerdings keine, auf die ich ihr hätte eine Antwort geben können. Das musste sie schon selber wissen.
„ Wenn das so ist, dann gäbe es doch eine ganz einfache Lösung.“ Das wollte ich sagen. Ich sagte es aber nicht.
Stattdessen küssten wir uns und setzten den perfekten Moment weiter fort.
Kapitel 25
Als wir wieder im Hotel ankamen, war das Abendessen schon in vollem Gange. Das Restaurant war fast voll. Brian und Irene saßen an einem Tisch, Rana und Michael an einem anderen, und dann verteilten sich noch fünf weitere Personen im Raum, alles Amerikaner. Einer davon war Andrew, der Gast, der mit uns angereist und gleich in der ersten Nacht in der Entzugsstation verschwunden war. Er machte einen ganz gelösten und erholten Eindruck.
Rana, die mit Michael an einem Tisch auf der Terrasse saß, winkte uns herüber, doch Devi flüsterte mir zu, dass sie ein bisschen Zeit für sich bräuchte. Ich küsste sie auf die Wange, versprach, später vorbeizuschauen und setzte mich zu Rana und Michael. Ihr Essen wurde gerade gebracht, Rana bekam wie immer Fisch, aber Michaels Essen sah gut aus: Ananasrisotte und Jerk Chicken. Ich bestellte das Gleiche.
Rana erzählte mir das Neueste. Irene hatte jetzt entschieden, mindestens eine Woche zu bleiben. Sie und Brian verbrachten jede freie Minute zusammen. Michael, der eigentlich Computerprogrammierer und Webdesigner war, hatte Henry geholfen und es geschafft, Zugang zur deutschen Webseite zu bekommen. Er hatte die Seite jetzt insoweit geändert, dass ein großer Balken über dem Werbetext blinkte mit
Weitere Kostenlose Bücher