Club Suizid: Ein lustiger Roman über ein weniger lustiges Thema (German Edition)
stürzte sich auch ins Getümmel und Henry folgte ihm. So blieb ich alleine am Tisch zurück.
Ich war schon lange nicht mehr ausgegangen und hatte vergessen, wie viel Spaß Menschen haben können. Aber ich hing noch immer den Gedanken nach, die ich beim Anblick des riesigen Meeres gehabt hatte. Niemand war für mich verantwortlich. Ich selbst hatte mein Leben in der Hand. Jede Minute konnte ich aufs Neue entscheiden, was ich als nächstes tun würde. Dieser Gedanke war ungeheuerlich. Ich hatte mein ganzes Leben gewartet. Darauf, dass etwas passierte, dass jemand mir sagte, was wir tun sollten, dass jemand sich in mich verlieben würde, dass ich den Sinn meiner Existenz finden würde. Und war mir niemals bewusst darüber geworden, was für ein riesiges Geschenk es ist, frei entscheiden zu können, was man tut und wie man lebt. Diese Freiheit war so riesig, wie das Meer weit war.
An diesem Punkt setzte eine gemeine kleine Gegenstimme in meinem Kopf an: „Jetzt bist du aber betrunken. So riesig, wie das Meer weit ist? Was ist das denn für ein Gesülze?“
Ich schob meinen Drink weg und antwortete mir selbst: „Das ist kein Gesülze. Mein Wahres Ich sagt: Ich habe die Freiheit entdeckt, mein Leben selbst zu gestalten! Und dazu habe ich heute den perfekten Moment erlebt! Ich weiß endlich, wie Glück sich anfühlt!“ Ich war tatsächlich glücklich!
Ich stand auf und ging tanzen. Ich ließ mich von einer Frau küssen, die in Wirklichkeit ein Mann war. Ich küsste zurück und dachte dabei an Devi. Sie hätte Spaß gehabt, da war ich mir sicher. Schon komisch, ein Mensch, der selbst nicht mehr am Leben teilnimmt, hatte mir beigebracht, wie man das Leben genießt. Rana umarmte mich und schrie mir ins Ohr: „Ich wusste, dass du es in dir hast! Ich gehe noch woanders hin, wartet nachher nicht auf mich!“
Als wir ein paar Stunden später wieder ins Hotel zurückfuhren, waren wir nur noch zu dritt.
Kapitel 26
Am nächsten Morgen schlief ich bis 10, hatte aber merkwürdigerweise keinen Kater. So viel hatte ich am Abend vorher auch gar nicht getrunken. Ich lag auf dem Bett und schaltete den Ventilator eine Stufe höher. Dann hörte man zwar das Meer nicht mehr, aber ich musste nur den Kopf ein wenig drehen und ich konnte es draußen glitzern sehen. Ich atmete tief ein und schloss dabei die Augen. Die Luft verteilte sich in meinem ganzen Körper und transportierte dabei Glückshormone vom Kopf in den Brustkorb, den Bauch, bis hinunter in den kleinen Zeh. Ob Devi schon gefrühstückt hatte? Dann fiel mir plötzlich mein Termin mit Dr. Rosenblatt ein. Ich war schon ganz schön spät dran. Das war jetzt das zweite Mal hintereinander, dass ich meinen Termin vergessen hatte. Das würde Dr. Rosenblatt bestimmt als Widerstand auslegen. Dabei spürte ich gar keinen Widerstand gegen ihn. Ich sprang aus dem Bett, zog mir schnell was über und stand mit einer fünfzehnminütigen Verspätung vor seiner Tür.
Als ich Dr. Rosenblatt sah, erschrak ich. Er sah furchtbar aus. Der erste Gedanke war, dass er einen Streit mit Henry gehabt haben musste. Vielleicht, weil Henry am Abend vorher ausgegangen war ohne ihn? Weil er Alkohol getrunken hatte? Oder war er sauer auf mich, weil ich schon wieder zu spät kam?
„ Es tut mir sehr leid, ich habe verschlafen. Es ist gestern Abend spät geworden. Aber ich habe ihren Rat befolgt: ich nehme am Leben teil, ich genieße es, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wirklich glücklich!“
„ Lieber Herr Mattheus. Setzen Sie sich doch. Ich fürchte, ich habe eine sehr schlimme Nachricht für Sie.“
„ Wieso, ist etwas passiert?“ Dr. Rosenblatt nahm meinen Arm und führte mich zum Sessel, in dem ich immer bei ihm saß. Er sah wirklich mitgenommen aus, aber anscheinend ging es nicht um Henry.
„ Ist etwas mit Rana?“ Wir hatten sie gestern Nacht in der Stadt gelassen, waren ohne sie abgefahren. War ihr etwas passiert?
„ Devi ist heute Nacht verstorben. Es tut mir so leid.“
Mein Herz setze aus und in Blitzesschnelle gefror mein Blut bis in die Finger- und Zehenspitzen.
„ Wie? Was heißt das? Verstorben? Ist sie tot?“
Dr. Rosenblatt traten Tränen in die Augen und er nickte. „Anscheinend hatte sie einen Herzinfarkt. Sie ist bereits ins örtliche Krankenhaus überführt worden, wo eine Autopsie gemacht wird. Wir haben auch das Konsulat auf Barbados informiert. Sie versuchen gerade, Verwandte ausfindig zu machen. Wenn Sie da etwas wissen, könnten Sie uns vielleicht
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