Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
Farbe und für die »Newcomer« eine andere zu wählen. Das Tafelbild wies jetzt sehr prägnant
die »beiden Lager« des Führungskaders auf. Die alten Mitarbeiter wurden hellblau, die neuen |295| tiefrot und der frühere Firmeneigner grau dargestellt. Als sich der Klient das Organigramin ansah, schien es ihm, als wenn
seine Position und die seines Controller-Kollegen auf die »alten Hasen aufdringlich, unangenehm eindringend und plakativ«
wirken mussten.
In diesem Stadium der Rekonstruktion bat ich den Klienten zu untersuchen, was denn den »alten Hasen« an den Neulingen so störend
auffalle, bzw. ich bat ihn, die Organisationskulturen von Mutter- und Tochterfirma in wesentlichen Punkten zu eruieren. Dafür
schlug ich dem Klienten vor, mit Wachsmalkreiden auf einem großen Blatt Papier die Kultur seiner Firma, so wie er sie intuitiv
durch die »alten Hasen« repräsentiert sähe, zu umreißen. Daneben sollte er die Kultur der Mutterfirma darstellen. Dabei entstand
ein skizzenhaftes Bild, bei dem die Tochterfirma mit sehr ausgewählten Farben von blau bis beige, Ton in Ton, dargestellt
wurde und die Mutterfirma durch klares rot und gelb charakterisiert war. Aus dieser Abbildung ließ sich in einem gemeinsamen
Deutungsprozess ermitteln, dass die »elegante Familientradition« durch die »plakative, ökonomisch tatkräftige« Mutterfirma
aufgesogen zu werden drohte und sich diesem Sog gegenüber starke Widerstände in der Tochterfirma mobilisierten. Es ließ sich
weiterhin ermitteln, dass er, der sich auf der Magnettafel als roten Punkt dargestellt hatte, vom Firmenchef wie vom Designer
als Agent der Mutterfirma begriffen wurde.
»Mensch, das ist ja ein Zweiweltensystem«, staunte der Vertriebsleiter, »und ich werde da immer als Fremdkörper begriffen,
obwohl ich eigentlich gar nichts dafür kann. Ich kenne die Leute von der Mutterfirma fast nicht. Aber im Prinzip stimmt es
natürlich, wenn ich als rational und ökonomisch kalkulierend betrachtet werde. Allein dadurch erzeuge ich ja Widerstände gegen
mich.« Im Verlauf der weiteren Analyse entwickelte der Klient zunehmend die Vision, dass die alte Unternehmenskultur ohnedies
bald bröckeln oder zugrunde gehen würde, denn der Unternehmensleiter stand kurz vor seinem Ruhestand. Dem Klienten fielen
jetzt auch verschiedene Vorkommnisse ein, aus denen hervorging, dass die Mutterfirma in den nächsten Jahren ihren Einfluss
deutlicher geltend machen werde als bisher. »Mein Kollege und ich sind bislang nur Vorposten.« Er entschied sich am Ende der
Sitzung, bis zum Ausscheiden des jetzigen Chefs in der Firma durchzuhalten und weitere personelle Veränderungen durch die
Mutterfirma abzuwarten. Wenn sich nichts Grundsätzliches ändern sollte, wollte er allerdings eine neue Stelle suchen.
Erweiterungen des Handlungsrepertoires
Durch manche Materialmedien lassen sich sogar Veränderungen von Handlungsmustern herbeiführen. Wie ich in einem nachfolgenden
Abschnitt noch zeigen werde, stellen z. B. Puppen Medien dar, mit denen |296| Rollentrainings sehr bereichert werden können. Durch den spielerischen Charakter von Puppen erhalten viele zunächst als bedrohlich
eingestufte Situationen den Beigeschmack von »komisch« oder gar »albern«.
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4. Zur Deutungshaltung des Coach bei der Arbeit mit Materialien
Eine zentrale Fragestellung im Zusammenhang mit der Anwendung von Materialmedien im Coaching betrifft die spezifische Deutungshaltung
des Coach. In Fällen, wo Klienten ihre Arbeitssituation sehr prägnant und rational bestimmt etwa in Form einer Grafik darstellen,
sind sie sofort selbst in der Lage, ihr Werk auszudeuten. In vielen anderen Fällen aber, wo es um die Vermittlung von prärationalen
Mustern anhand eines gemalten Bildes oder anhand einer Tonplastik geht, springen die Botschaften des Bildes oder der Tonplastik
weder dem Klienten selbst noch dem Coach sofort ins Auge. Die Entschlüsselung solcher Werke bedarf dann einer komplexen Deutungsleistung.
Wie ist nun diese Entschlüsselung zu leisten, und mit welcher Haltung sollte der Coach den Entschlüsselungsprozess begleiten?
Hierbei orientiert sich der vorliegende Coaching-Ansatz wieder an psychotherapeutischen Verfahren. Gerade Psychotherapie kreist
häufig um Ausdeutungen von Klientenkreationen, sodass hier auch fürs Coaching mancherlei Anregungen zu erhalten sind. Zur
konkreten Deutungsarbeit empfehle ich, Anleihe zu nehmen
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