Code Freebird
verkohlten Leichen an Stromleitungen und Brücken auf. Andere wurden an einem Eselskarren durch die Stadt geschleift.
Wenn man den Kontext nicht kennt, dann sind das erschreckende Bilder, die jedes Vorgehen rechtfertigen. Auch die härtere Gangart. Was aber nicht gesagt und gezeigt wurde, war, dass es sich bei diesen amerikanischen Zivilisten um hochbezahlte, gedungene Gesetzlose handelte, die Angst und Schrecken unter der irakischen Bevölkerung verbreiteten. Sie stacheln Aufstände an, haben keinen Respekt vor nichts und niemandem, weder vor Mensch noch Tier oder Privatbesitz.
Wie wollen wir den Irakis Demokratie beibringen, wenn unsere Regierung diesen Horden nicht nur freies Geleit gibt, sondern sie darüber hinaus auch noch beschäftigt? Das ist nicht zu verstehen.«
»Sie zeichnen kein rühmliches Bild Ihrer Regierung. Wieso dienen Sie ihr als Soldat?«
Auch auf diese Frage hatte O’Brien eine überraschend schnelle Antwort parat. Eigentlich hatte Levy damit gerechnet, dass diese Grundsatzfrage ein Nachdenken bei dem jungen Soldaten auslösen würde, doch wie es sich zeigte, hatte er diesen Prozess schon längst hinter sich.
»Sehen Sie meine Kameraden dort drüben«, sagte er und nickte in deren Richtung. »Alles junge und fast noch unschuldige Kerle, so wie ich es auch einmal war. Jeder von ihnen hat seinen eigenen persönlichen Grund, wieso er in die Army eingetreten ist. Der eine hat Verwandte oder Freunde am 11. September verloren, den anderen treibt die pure Abenteuerlust. Beide Gründe sind für mich akzeptabel, auch wenn zwischen Rache und Dummheit eine große Kluft herrscht.
Meine Kameraden und ich sind auf die Verfassung vereidigt. Ich schätze sie als unser höchstes Gut ein, das wir in den Staaten besitzen. Ich kann sie nicht kampflos einer Regierung opfern, die sich zurzeit aus der Ölmafia und der Rüstungsindustrie rekrutiert und das Gesetz nach Gutdünken beugt. Ich kämpfe für meine Verfassung an einer fernen Front, um diesem ganzen Wahnsinn wenigstens eine gute, menschengerechte Seite abzugewinnen.«
»Die da ist?«
»Den Irakis ein lebenswertes Leben nach Saddam zu ermöglichen.«
»Vielleicht wollen die Irakis das selbst in die Hand nehmen?«
»Sicher, das werden sie auch. Aber zuvor müssen wir unsere Hausaufgaben machen, und das heißt zu berichtigen, was bei unserem Vorgehen falsch gelaufen ist. Amerika steht für mehr als Öl und Dollar. Das solltet ihr Deutschen doch am besten wissen.«
Levy war sichtlich irritiert. Ein erstaunlicher junger Mann.
O’Brien entging es nicht. »Wissen Sie, ich entstamme einer irischen Familie. Meine Vorfahren sind vor dem Hunger und den Engländern geflüchtet. Noch heute lebt ein Teil meines Volkes unter englischer Kolonialmacht. Können Sie sich das vorstellen? Mitten in Europa, im aufgeklärten 21. Jahrhundert, wird der Norden des Landes von London aus gesteuert.
Dieser Stachel sitzt noch immer tief. Ich werde mein Möglichstes tun, damit der Irak nicht das gleiche Schicksal erleidet. Meine Arbeit trägt dazu bei, dass sich die Dinge stabilisieren. Danach gehe ich guten Mutes nach Hause zurück.«
»Wann ist Ihr nächster Einsatz?«
»In zehn Tagen.«
Eine Frage lag Levy die ganze Zeit auf der Zunge, er wagte sie aber erst jetzt zu stellen. »Darf ich fragen, wie alt Sie eigentlich sind?«
»Fünfundzwanzig.«
»Und Sie haben bereits im Irak gekämpft?«
»Ja, mit zweiundzwanzig. Ich war bei der Operation Iraqi Freedom dabei, und ich war schon einer der Älteren. Mein Studium hatte sich ein Semester länger hingezogen als geplant, daher war ich spät dran.«
»Was haben Sie studiert?«
»Geschichte und Philosophie.«
Nun wurde Levy einiges klar. Ein normaler Soldat hätte kaum seine Beweggründe so darlegen können, wie er es getan hatte.
Trotzdem stimmte etwas nicht, genau genommen waren es zwei Dinge. »Mit Ihrer Ausbildung und Kampferfahrung hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie längst im Rang eines Offiziers sind?«
O’Brien schmunzelte. »Ja, das war ich auch.«
Eine weitere Erklärung blieb aus. Er wollte wohl nicht über die Hintergründe sprechen.
»Noch etwas«, erkundigte sich Levy nach der zweiten Ungereimtheit. »Wie lange nehmen Sie schon Psychopharmaka ein? Sind Sie damit überhaupt dienstfähig?«
Wieder ein Schmunzeln. »Ich brauche sie nur in Friedenszeiten, wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken habe. Im Kampf regelt sich alles von allein.«
O’Brien erhob sich, ein klares Zeichen, dass die
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