Blind Date mit Folgen - Roman
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Es war einer jener Sonntage mit einer Fratze, einer bösen dunkelgrauen Teufelsfratze. Ein Tag, an dem sie den Fall nicht aufhalten konnte, schlimmer, ein Tag, an dem sie zu schwach, zu hoffnungslos war, um diesen zu bremsen. Sie war sicher, das Gewicht einer Feder würde sie erdrücken, ganz zu schweigen vom Gewicht der Welt, dem Gewicht der Zeit, das heute auf ihren Schultern lastete. Wie pathetisch klang das denn?
Maira saß auf der Couch, den Sonntag – oder besser: die Vorstellung des Sonntags – vor sich. Sie wusste, sie wartete vergeblich auf ein Zeichen, eine Veränderung. Sie wusste, die Straßen unter dem grauen Himmel draußen waren leer gefegt, die Cafés zugesperrt und die Läden geschlossen. Alles wie ausgestorben. Ein Tag zum depressiv werden, wenn sie es nicht schon war. Erneut scrollte sie durch die Adressliste ihres Handys. Für einen Single wie sie war Sonntag der Horrortag der Woche. Adrian, Alexandra, Angelo, Antoine? Wie sollte sie bloß diesen üblen Nachmittag verbringen? Carlos, Celine, Clarissa, Christoph? Zu den meisten hatte sie den Kontakt vor Jahren schon verloren. Die alten Nummern auszumisten wäre keine schlechte Idee. Aber nicht heute.
Während den Arbeitstagen hielt sie ihr Job auf Trab und verscheuchte die Gedanken an ihr nicht vorhandenes Privatleben. Colin, Dani, David?
Niemand dabei, den sie treffen wollte. Niemand, der sie überraschen würde, niemand, der den Fall aufhalten könnte. Während Maira nicht genau sagen konnte, wonach sie sich sehnte, wusste sie gleichzeitig genau, was sie nicht wollte: Leute, die ihr erzählten, wie gut es ihnen ging. Sie hatte keinen Bock, nickend und lächelnd den Erfolgsgeschichten anderer zu lauschen. Den anderen ging es immer gut. Sei es im Job oder sonst wo. Alle strahlten sie, alle wirkten fröhlich und zufrieden. Und das nervte sie manchmal ganz schön.
Das fünfte Wochenende in Folge hockte sie zu Hause. Sie konnte fast fühlen, wie sie dabei immer mehr verwelkte. Sie schob den Laptop auf ihrem Schoß zurecht, unsicher, ob sie sich einloggen sollte.
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Sollte sie doch …? Sie legte die Stirn in Falten, aber wie sie es auch drehte und wendete, die Vorteile überwogen: Sie brauchte das Haus nicht zu verlassen, musste sich nicht aus dem Pyjama schälen und weder Körperteile wachsen noch Haare zupfen. Und trotzdem hatte sie die Möglichkeit, jemanden kennenzulernen. Oder mehrere. Oder ihn. Ihn?
Ihn gab es nicht. Und wenn es ihn gab, weshalb sollte sie ihn ausgerechnet im Chat antreffen? In der ›Real World‹ gab es keine geeigneten Männer, wieso sollte dies in der Cyberwelt anders sein? Im Internet wäre sie wenigstens anonym. Das war allein wegen ihres Jobs bei ›Täglich Zürich‹ wichtig: Nicht nur ihr Chef Borer, sondern auch die Leser der größten Zürcher Gratiszeitung fänden die Suche der People-Kolumnistin nach einem Mann im Internet wohl ziemlich fragwürdig … Wie viele Texte über Singles, Beziehungen oder Partnersuche hatte sie schon veröffentlicht? Unzählige.
Unzählige Male hatte sie sich über diejenigen lustig gemacht, welche auf diesem verknorzten Wege den Partner fürs Leben suchten, sei es per Inserat oder eben per Internet.
Aber wo sollte eine Anfangsdreißigerin sonst Männer kennenlernen? Bars und Clubs hatte sie schon lange abgehakt. Porschemachos, Platinum-Stecher, Heroinlook-Tussis. Oberflächliches Blabla und unterschwelliger Konkurrenzkampf.
Wer ist schöner? Sexyer? Dünner? Wer hat den besseren Job? Das geilere Auto? Mehr Geld?
Und das hier war nicht etwa New York, London, Paris, nein sie sprach von Downtown Zürich, Switzerland. Natürlich war ihre letzte Kolumne über den damals neuen, als trendy verschrienen Zürcher Club mit dem Titel ›Eine Nacht im Divogonal‹ vernichtend ausgefallen. Der Clubbesitzer hatte sie persönlich empfangen, sie zügig in den VIP-Bereich zu den ›Special-Centaurus-Lifetime-Members‹ geführt. Abseits der schwitzenden Masse gab es Lachscanapés, Champagner und viel gepflegte Langweile. Im Divogonal war sie seit Mai nicht mehr gewesen. Der VIP-Room würde ihr nach der Kolumne wohl sowieso auf Lebzeiten verweigert. Nun, drei Monate später, im August, feierte Zürichs Schickeria dort noch immer die Nächte durch während sie allein zu Hause rumhing und Trübsal blies. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger sprach gegen den
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