Codename Merlin - 3
stutzig. Ruhig erwiderte Merlin den Blick, dann zuckte er kaum merklich mit den Schultern. »Die Aufzeichnungen mögen fort sein, aber die Köpfe derer, die sie angefertigt haben, oder studiert, oder daran gearbeitet, sind alle noch da.«
»Wir können unmöglich das alles wiederherstellen …«
»Das wahrscheinlich nicht, aber Sie können zumindest damit anfangen. Und wenn Sie mir gestatten, das so zu sagen: Sie müssen jetzt unbedingt nach jüngeren Köpfen Ausschau halten, die ähnlich denken wie Sie selbst. Beziehen Sie diese Leute in die Arbeit ein! Geben Sie ihnen einen Ausgangspunkt und lassen Sie ihnen ein wenig Unterstützung zukommen, und dann sollten Sie selbst sich ein wenig zurückziehen und schauen, in welche Richtung sich ihre Arbeit entwickelt. Vielleicht erleben Sie dann ja eine Überraschung! Und Sie wissen zumindest, dass König Cayleb bereit ist, Sie und die Hochschule ganz offen zu unterstützen. Lassen Sie das auch geschehen, Doktor! Sie werden mit dem Wiederaufbau viel zu viel zu tun haben, als dass Sie sich von einer völligen Unabhängigkeit von der Krone beunruhigen lassen sollten, wie sie vor vierzig Jahren gewiss sehr wichtig war.«
Mahklyn hörte seine Worte, lauschte dem Tosen der Flammen, die sein Lebenswerk vernichteten. Es schien ihm, als wolle das Prasseln und Knistern ihn verspotten. Das Entsetzen, das ihn bislang ein wenig betäubt hatte, klang allmählich ab, und auch der erste Anflug von Trauer legte sich. Und als er nun sah, wie Merlins Augen im fahlen Schein der Flammen aufblitzten, wusste Mahklyn auch, was er stattdessen empfand: Zorn. Nackten, glühenden Zorn. Einen Zorn, wie er ihn noch nie zuvor in seinem Leben verspürt hatte.
»Ja, Doktor«, sagte Captain Athrawes, fast als habe er Mahklyns Gedanken gelesen. »Was auch immer sonst geschehen mag, Sie dürfen nicht zulassen, dass diese Leute …« − er deutete auf die lodernden Flammen − »tatsächlich siegen werden!« Bischof Mylz Halcom beobachtete, wie weitere Löschwagen hastig durch die Straßen der Stadt gefahren wurden. Trotz der späten Stunde hatten das lodernde Rot der Flammen und der nachtschwarze Rauch zahlreiche Leute auf die Straße gelockt; nun wohnten sie mit offenstehenden Mündern der Zerstörung bei. Viele der Zuschauer eilten vorwärts, um den Brandwehrmännern behilflich zu sein, auch wenn ihnen allen unmissverständlich klar sein musste, dass das Gebäude der Königlichen Hochschule unmöglich noch zu retten war. Doch die meisten Zuschauer betrachteten nur mit weit aufgerissenen Augen die unvorstellbare Wucht der Zerstörung. Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis allen bewusst wäre, wie es zu dem Brand hatte kommen können, und Halcom nickte zufrieden.
Alles, was die treuen Söhne von Mutter Kirche hier benötigten, war eine gewisse Leitung: Man musste ihnen eine Richtung vorgeben, in die sie den Zorn über jene unsägliche Beleidigung und Schmähung ihres Glaubens lenken sollten − und dann gegen diese Abscheulichkeit vorgehen, diese abtrünnige Ketzerei, die sich selbst ›Kirche von Charis‹ nannte.
Und was hätte ein geeigneteres Ziel abgegeben?, fragte er sich. Es wird Zeit, dass Cayleb und seine Speichellecker begreifen, wie heiß der Zorn eines wahren Gläubigen wirklich lodert. Es mag diesem verwünschten Seijin ja gelungen sein, das Leben dieses Verräters Staynair zu retten, aber jetzt wissen die, dass ein Rückschlag uns nicht dazu bringen wird, einfach kampflos aufzugeben! Vielleicht wird dieses kleine Feuerchen sie ja dazu bewegen, die Entscheidung, ihre ruchlosen Hände gegen Gottes wahre Kirche zu erheben, ein wenig zu … überdenken.
Und wenn das nicht ausreicht, dann werden wir, dessen bin ich mir sicher, letztendlich eine andere Möglichkeit finden, genau das zu bewirken.
.II.
Königlicher Palast, Stadt Tellesberg, Königreich Charis
»Also seid Ihr Euch sicher, dass dieses Feuer gezielt gelegt wurde?«, fragte König Cayleb grimmig.
Merlin und er saßen in bequemen Sesseln im Wohnzimmer der königlichen Privatgemächer im Palast von Tellesberg, und Merlins schwarzgoldene Uniform roch immer noch nach Rauch. Nein, eigentlich stinkt sie nach Rauch, korrigierte sich Cayleb innerlich − und das war auch nicht allzu überraschend. Trotz aller Bemühungen der Brandwehrleute waren auch sämtliche Nachbargebäude der Königlichen Hochschule den Flammen zum Opfer gefallen, und nachdem Merlin Mahklyn in die Obhut eines halben Trupps der Garde gegeben hatte − Cayleb
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