Codename: Sparta - 5 - Der Jupiter-Diamant
war es gewesen, derentwegen er darauf bestanden hatte, die Öffnungssequenz zu überarbeiten; es handelte sich um eine geheime Aufzeichnung eines Aufklärungssatelliten der Raumkontrollbehörde, die Mays vor weniger als 24 Stunden durch Methoden in die Hände bekommen hatte, über die zu sprechen er nicht bereit war. Der Redakteur verstand Mays’ Vorsicht und sagte nichts mehr. Im immer größer werdenden Bildausschnitt war jetzt zu erkennen, daß unter dem alles verhüllenden Nebel auf der Oberfläche von Amalthea Hunderte von glitzernden Ausbrüchen Materie ins All spien. Die Stimme im Off fuhr fort: Für die Eisgeysire auf Amalthea gibt es keine bekannte natürliche Erklärung.
»Schalten Sie zurück auf eins«, sagte Mays.
Abrupt schaltete das Bild auf dem Monitor um auf einen Amalthea, wie man ihn im letzten Jahrhundert gekannt hatte – ein dunkelroter, geröllübersäter Felsbrocken von 270 Kilometern Länge, auf dem es ein paar größere Flecken aus Eis und Schnee gab. Seit den ersten Aufnahmen von robotergesteuerten Raumexpeditionen im 20. Jahrhundert hielt man Amalthea für einen gewöhnlichen, unbelebten, von der Schwerkraft eingefangenen Asteroiden.
Das Bild wurde ausgeblendet, und jetzt tauchten auf dem Monitor Aufnahmen aus der Tiefe der Jupiterwolken auf, die im vorigen Jahr von der Kon-Tiki- Expedition gemacht worden waren. In der Bildmitte graste ein riesiges dahintreibendes Geschöpf still auf den wolkigen Weiden. Es glich einer Qualle auf der Erde, war nur um ein Vielfaches größer. An der Seite seines gewaltigen Gasbeutels waren seltsame Markierungen zu erkennen, das Schachbrettmuster eines Radiosenders im Meterbandbereich.
Als die in den Jupiterwolken schwimmenden Medusen durch das Forschungsschiff Kon-Tiki gestört wurden, fuhr die Stimme fort, begannen sie mit etwas, das viele als ›himmlische Chöre‹ bezeichnet haben.
»Jetzt rüber auf zwei«, sagte Mays.
Auf dem Schirm erschien ein weiteres der von Mays kürzlich illegal erworbenen Bilder, eine Falschfarben-Radiokarte der Jupiterwolken, betrachtet aus der Umlaufbahn von Amalthea: Konzentrische Kreise aus hellroten Flecken, die die Quellen der Radiowellen kennzeichneten, verteilten sich über die hellen Linien des Rasters wie das Kräuseln auf einem Teich oder die Ringe einer Zielscheibe.
Sechs Jupitertage lang sangen sie ihr Radiowellenlied genau in Richtung Amalthea. Sie begannen, als der Mond für sie über dem Horizont erschien, und hörten auf, als er wieder verschwand. Und am siebten Tag ruhten sie.
Dann wieder die Oberfläche von Amalthea: eine Rauchsäule in Nahaufnahme, die hoch über der glatten Fläche stand. Um die Öffnung der Geysire rankten sich Dunstschleier.
Es ist gewiß kein Zufall, daß diese ungeheuren Geysire genau im selben Augenblick überall auf Amalthea zu sprudeln begannen, als die Medusen mit ihrem Gesang aufhörten. Bis jetzt hat Amalthea bereits mehr als ein Drittel seiner gesamten Masse verloren. Mit jeder Stunde schrumpft er schneller.
»Fügen Sie jetzt den Ausschnitt von der Bordkamera ein«, befahl Mays. Die beiden hatten erst ein oder zwei Minuten zusammengearbeitet, trotzdem hatten Mays und der Redakteur ihren Arbeitsablauf bereits synchronisiert; der Redakteur hatte seine Befehle fast schon eingetippt, bevor Mays sie aussprach.
Das Bild von Sir Randolph höchstpersönlich tauchte in einer unteren Ecke des Bildschirms auf – der riesige weiße Geysir schien hinter ihm aufzuragen, ihn fast zu bedrohen. Vor drei Jahren noch hätte kaum jemand dieses Gesicht gekannt, das jetzt auf dem Monitor erschien – und das im wirklichen Leben einem Techniker über die Schulter sah und sich selbst anstarrte. Das vormals gutaussehende Gesicht war nach einem halben Jahrhundert voller Enttäuschungen schmal und blaß geworden, dennoch wirkte es nicht zynisch, und hinter den starrenden grauen Augen schien ein Funke des Glaubens in Mays’ Gehirn zu brennen.
Eine Reihe anderer Ereignisse, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, kulminieren auf Amalthea – Ereignisse, die an so weit verstreuten Orten geschahen wie der höllischen Venusoberfläche, auf der der Erde abgewandten Mondseite, den Wüsten des Mars – und nicht zuletzt auf einem großzügigen Landsitz in der englischen Grafschaft Somerset. Diese Ereignisse und einige andere unmögliche Geschehnisse bilden den Gegenstand unserer heutigen Sendung und den Abschluß unserer Serie.
Mays und sein Redakteur sprachen die vertrauten Worte im Chor.
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