Codewort Rothenburg
Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Über die Ermordung von Dora Zegg gab es dagegen nicht eine einzige Zeile zu lesen. Im Propagandaministerium war man der Ansicht, dass ein Mörder genug sei. Ein zweiter verrückter Mann, der unschuldige Frauen bedrohte, passte nicht zum Bild des sicheren Deutschland, in dem man endlich mit dem Berufsverbrechertum aufgeräumt hatte. Deshalb verwunderte es Daut nicht, als Rudat bei der Andeutung, dass es mit zwei Beamten schwer werden könnte, den Täter zu fassen, nur tadelnd die Augenbraue hob. Es gab keine Unterstützung für sie. Wenn sie den Mörder von Dora Zegg nicht fassten - was machte das schon? Im Moment interessierte nur ein Verbrecher in der Stadt.
Seit fünf Tagen rannten sich Rösen und Daut die Hacken ab auf der Suche nach weiteren Bekannten oder Verwandten von Dora Zegg. Ohne Ergebnis. Die Frau blieb seltsam gesichtslos, sie ging zwar zu Versammlungen der Frauenschaft, hatte darüber hinaus aber keine Freundinnen, besuchte keine Feiern, hatte nicht einmal mehr Verwandte, die ihnen weiterhelfen konnten.
Gestern hatten sie den Ehemann erneut und ausführlich vernommen. Er schilderte, dass sich das Paar schon lange auseinandergelebt hatte.
»Dora liebte nur einen: den Führer! Sie war närrisch in dieser Beziehung. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, Herr Kommissar. Natürlich respektiere und verehre ich den Herrn Reichskanzler genau wie alle aufrechten Deutschen. Aber bei Dora, das war etwas anderes. Für sie gab es nichts als die Bewegung . Dafür tat sie alles.«
Als Zegg danach schwieg und den Blick auf ein Foto seiner Frau richtete, das auf dem Wohnzimmertisch stand, versuchte Daut, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Hier rührten sie an einen wichtigen Punkt, das spürte er.
»Was meinen Sie damit, dass sie alles für die Bewegung tat?«
Zegg riss sich von dem Bild los.
»Meine Frau war von Anfang an dabei. Sie ist keine von diesen Märzgefallenen, diesen Opportunisten, die erst nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler auf den fahrenden Zug sprangen, als sie merkten, dass ihre Karrieren sonst abrupt enden würden.«
Daut spürte einen Stich in der Magengegend. Warf Zegg nicht einen spöttischen Blick in seine Richtung? Bevor er darüber nachdenken konnte, sprach der Mann weiter.
»Dora trat in die Partei ein, als Hitler noch nicht der Führer, sondern der Vorsitzende einer unbedeutenden Splittergruppe war, dem niemand eine Zukunft voraussagte. Dora hingegen glaubte daran mit ganzem Herzen. Sie ging zu Versammlungen, nahm lange Fahrten in Kauf, um ihn reden zu hören. Oh ja, sie vergötterte ihn schon damals. Ich erinnere mich, dass es mich manchmal geradezu eifersüchtig machte, wie sie von ihm sprach. Sie hatte so einen Glanz in den Augen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Daut nickte ihm aufmunternd zu, und Zegg fuhr fort.
»Später übernahm Dora Ämter in der Reichsfrauenschaft. Sie war oft drei oder vier Abende in der Woche nicht zu Hause. Mir machte das nichts, im Gegenteil. Ich war froh darüber. So war sie beschäftigt und trauerte nicht.«
Obwohl Daut ahnte, worum es ging, fragte er nach: »Welchen Grund zur Trauer hatte sie denn?«
Zegg räusperte sich.
»Wir konnten keine Kinder bekommen. Genauer gesagt: Dora konnte es nicht. Am Anfang litt sie darunter, aber als sie ihre Begeisterung für die Bewegung entdeckte, kam sie darüber hinweg. Und mir war es recht. Ich hatte meine Arbeit, und sie war beschäftigt. Manchmal sahen wir uns nur an zwei Abenden in der Woche, und dann redeten wir über andere Dinge. Mich interessiert Politik nicht, müssen Sie wissen. Vor etwa einem Jahr eröffnete mir Dora, dass sie für mehrere Wochen verreisen müsse. Nach Bayern. Als ich genauer wissen wollte, wohin sie führe und was sie dort täte, blaffte sie mich nur schnippisch an. Das geht dich nichts an. Das ist eine geheime Reichssache. Damals habe ich nur den Kopf geschüttelt. Aber jetzt ...«
Daut war überzeugt, dass Wilhelm Zegg nicht mehr über seine Frau und ihre Aktivitäten wusste. Nach diesem Gespräch gab es mehr offene als beantwortete Fragen. Was hatte Dora Zegg über mehrere Wochen in Bayern gemacht? Was tat sie, wenn sie an den meisten Abenden in der Woche unterwegs war? Die Reichsfrauenschaft traf sich höchstens einmal in der Woche - wenn überhaupt. Was für ein Doppelleben führte diese attraktive Frau, und warum verheimlichte sie es vor ihrem Mann?
Die Durchsuchung der Wohnung, die sie mit Genehmigung des Ehemannes so
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