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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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plötzlich auf Normalmaß zu schrumpfen schien.
    Sie tanzten, bis die Kapelle auch durch weitere Trinkgelder nicht mehr zum Weiterspielen zu bewegen war. Axel begleitete Luise nach Hause. Vor dem imposanten Eingangsportal der Apotheke gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
    »Danke für den wunderschönen Abend.«
    Eher er etwas sagen konnte, war sie im Haus verschwunden.
    Zwei Tage später fand Daut ein Paket im Briefkasten des elterlichen Hofes, wo er noch immer sein Jungenzimmer bewohnte. Sein Gehalt als einfacher Wachtmeister reichte nicht für eine anständige Wohnung. Es enthielt einen in Seidenpapier eingeschlagenen Handschuh aus hellblauem, traumhaft weichem Leder. Nur den linken! Dazu eine Karte: »Ich finde, er passt wunderbar zu Deinen Augen. L.«
    Von diesem Tag an waren sie ein Paar, auch wenn es noch über zwei Jahre dauern sollte, bis sie heirateten. Wäre Luise nicht schwanger geworden, hätten ihre Eltern dieser unstandesgemäßen Ehe nie zugestimmt. Den Handschuh besaß Daut immer noch. Er trug ihn nur einmal im Jahr, am zweiten Augustwochenende, an dem in der Heimat das Schützenfest stattfand. Als er Luise nach einigen Tagen fragte, wie sie den Lederwarenhändler überzeugt habe, ihr nur einen einzelnen Handschuh zu verkaufen, antwortete sie:
    »Ich musste beide kaufen. War aber auch besser so. Wenn du ihn mir zurückgeschickt hättest, so hätte sich mein Vater über das Weihnachtsgeschenk gefreut.«
    Glucksend entwand sie sich seiner spielerischen Drohung.

    »Soll ich dir die Kartoffeln aufwärmen oder in die Pfanne geben?« Luise riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Sind noch Eier da?«
    »Ja, zwei habe ich noch.«
    »Dann mach mir Bratkartoffeln mit Rührei.«
    Während seine Frau ihm das Essen zubereitete, ließ er sich von den Kindern ihre Tageserlebnisse erzählen. Anschließend aß er schweigend, und Luise brachte die Kleinen ins Bett. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam und sich neben ihn auf das Sofa setzte, legte sie eine Dose Penatencreme auf den Tisch. Daut reichte ihr den Arm. Sie band mit geübten Griffen die Prothese ab und massierte die Druckstellen mit einer kleinen Portion der wohltuenden Paste.
    »»War es ein schwerer Tag?«
    »Nicht schlimmer als sonst.«
    »Der S-Bahn-Mörder?«
    »Nein, es gibt einen neuen Fall.«
    Daut erzählte ihr in aller Kürze die Ereignisse des Tages. Er merkte, dass sie nicht bei der Sache war. Ihre Bewegungen an seinem Arm wurden immer langsamer.
    »Müde? Du scheinst mir fast einzuschlafen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein, es ist nur alles so verwirrend.«
    Daut legte seinen Arm um ihre Taille. Während er sie früher fast umfassen konnte, reichte es jetzt nur bis zur Hälfte.
    »Der Kleine wächst und wächst.«
    »Hast du nicht auch Angst, in was für eine Welt wir dieses Kind setzen, Axel?«
    Luise wartete seine Antwort nicht ab, sondern sprach langsam und leise weiter.
    »Ich war heute bei den Neebs zum Mittagessen. Was ich da gehört habe! Langsam weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll. Da war ein hohes Tier aus dem Luftfahrtministerium zu Gast, der behauptete, dass es bald Krieg mit Russland geben wird. Und mit bald meinte er, in ein paar Tagen.«
    Daut zog den Arm zurück und setzte sich ruckartig auf. Seit dem Tod ihrer Nichte Clara hatte sie häufig seltsame Ideen. Gefährliche Ideen!
    »Was du da redest, Luise«, sagte er barsch und bereute im nächsten Moment seinen Tonfall. Deutlich leiser und milder fuhr er fort:
    »Du weißt doch, dass es einen Vertrag mit Russland gibt.«
    Luise setzte sich aufrecht hin und funkelte ihn kämpferisch an.
    »Verträge kann man brechen, Axel. Es wäre nicht das erste Mal.«
    »Nein, Luise, in diesem Fall wird das nicht passieren. Der Führer ist doch nicht dumm. Meinst du im Ernst, dass er einen Zweifrontenkrieg riskiert?«
    Luise zuckte mit den Schultern. Daut vermisste ihr Lächeln.

Zehn

    Die Tage zogen sich wie Gummi. Die Stadt hielt den Atem an. Noch immer gab es keine Spur vom S-Bahn-Mörder, obwohl ihn die gesamte Berliner Polizei jagte. Fast jedenfalls, denn Rösen und Daut waren die einzigen Beamten, die sich mit einem anderen Fall beschäftigten. Sie spürten förmlich, wie der Druck von Tag zu Tag wuchs. Das Monster, das in den vergangenen Monaten sieben Frauen auf brutale Weise vom Leben in den Tod befördert hatte, war ein öffentliches Thema. Die Zeitungen schrieben darüber, im Radio berichtete man über die Anstrengungen der Polizei und bat um die

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