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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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bereitmachte, mit körperlicher Gewalt in die Wohnung einzudringen, hielt er ihn zurück. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Zwerg. Aber des Rätsels Lösung würden sie nicht hinter dieser Tür finden.

Neun

    Kurz vor zehn schloss Daut seine Wohnungstür auf. Das Geräusch seines knurrenden Magens übertönte das leise Gebrabbel, das aus der Küche kam. Die Kinder waren noch wach. Luise erlaubte ihnen in der letzten Zeit häufiger, länger aufzubleiben, damit sie ihren Vater überhaupt zu Gesicht bekamen. Seit die ganze Stadt den S-Bahn-Mörder jagte, war er kaum einen Abend vor neun Uhr zu Hause. Als er die Küche betrat, lächelte er unweigerlich. Die deutsche Musterfamilie. Ilse und Werner saßen am Tisch, die Kleine las in einem Buch, während Werner die Elastolin-Spielfiguren aufstellte. Der SA-Spielmannszug mit Tambourmajor, Pfeifern, Trommlern und Trompetern marschierte an einem im offenen Mercedes stehenden Führer vorbei. Die Szenerie kam Daut unnatürlich vor, denn der Miniaturführer streckte den Arm korrekt zum Gruß aus, während das Original ihn nur anwinkelte als wolle er sagen: Nun lasst mich doch alle zufrieden mit diesem ewigen Heil .
    Luise saß am Fenster und stopfte im matten Schein der Stehlampe Strümpfe. Als Walter seinen Vater sah, sprang er auf, griff sich eine der Figuren vom Tisch und stürmte auf ihn zu.
    »Schau mal, Papa, den Schellenbaumträger habe ich heute eingetauscht gegen zwei einfache SA-Männer. Toll, was?«
    Daut streichelte ihm mit der Hand über den Kopf, ging zu Luise und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie streichelte ihm stumm den Arm. In der letzten Zeit sah sie mitgenommen aus. Diese Schwangerschaft fiel ihr schwerer als die beiden zuvor.
    »Hunger?«, fragte sie und drückte sich mit beiden Händen aus dem Sessel.
    »Mein Magen beschwert sich schon seit Stunden. Was gibt es Gutes?«
    »Gutes ist relativ in diesen Tagen.«
    Luise seufzte tief, und Daut entging die Doppeldeutigkeit nicht. Wurde seine Frau schwermütig? Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich, im Gegenteil. Er bewunderte sie für ihr sonniges Gemüt, mit dem sie selbst schwierigste Situationen spielend zu meistern schien. Als er sie vor fast siebzehn Jahren auf dem Schützenfest das erste Mal sah, bezauberte ihn vor allem ihr Lachen. Sein Leben war deprimierend. Obwohl er damals schon sieben Jahre mit der Prothese lebte, hatte er sich noch immer nicht mit ihr abgefunden. Er hasste dieses Stück Holz, das er zu verstecken suchte, so weit es ging. Er traute sich nicht, Luise zum Tanz zu bitten. Warum sollte sich diese fröhliche, junge Frau mit einem Krüppel und einfachem Schutzpolizisten abgeben? Sie konnte doch haben, wen sie wollte. Er glaubte zu träumen, als sie plötzlich vor ihm stand und lächelnd fragte: »Wollen Sie niemals tanzen? Warum sind Sie dann auf diesem Fest?«
    Luise erzählte noch heute mit breitem Lachen, wie ungläubig er sie angestarrt hatte. Immerhin stand er auf und machte eine Verbeugung. Dabei wäre es geblieben, wenn sie ihn nicht am Arm gefasst und auf die Tanzfläche geführt hätte. Wie selbstverständlich nahm sie die gewohnte Tanzposition ein, und als er nicht wusste, was er tun sollte, griff sie seine Prothese und legte die gesunde Hand auf ihre Taille. Wie gut sie sich anfühlte. Und wie gut sie roch! Sie ließen keinen Tanz aus, bis die Kapelle pausierte. Außer Atem gingen sie an die Theke, und Daut bestellte Sekt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt dieses prickelnde Zeug getrunken hatte, aber Bier oder Schnaps erschienen ihm unpassend. Als er Luise das Glas reichte, dröhnte von hinten eine Stimme.
    »Na, mein Mädchen, willst du uns deinen Kavalier nicht wenigstens vorstellen?«
    Gustav Hülskamp war ein beeindruckender Mann, nicht nur, weil er in der Schützenuniform noch gewichtiger aussah, als er war. Der Hut mit der Feder ließ ihn einen halben Meter größer erscheinen. Hülskamp zählte überdies zu den Honoratioren der Stadt, gehörte ihm doch die größere und bedeutendere der beiden Apotheken am Marktplatz, was sich unschwer am schweren, golden glänzenden Löwen über dem Eingang ablesen ließ. Daut wäre am liebsten im Boden versunken und versteckte seine Prothese hinter dem Rücken. Dort ergriff Luise die Holzhand und trat lachend neben ihn.
    »Würde ich ja gerne, Paps, aber dazu muss er sich erst einmal mir vorstellen.«
    Lachend zog sie ihn zurück auf die Tanzfläche, einen völlig konsternierten Apotheker zurücklassend, der Daut

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